piwik no script img

Metaphern verboten!

Dänisches Vorbild: Der Keuschheitsschwur des Hamburger Literatur-„Dogma“  ■ Mechthild Bausch

Gunter Gerlach ist immer für eine Überraschung gut. Als „Freibeuter aller Autoren“, als den er sich selbst einmal bezeichnete, entert er verschiedene Genres mit dem Mut der Gesetzlosen. Zu seinen jüngeren Werken gehören der Zukunftsroman Loch im Kopf ebenso wie der „Heimatroman“ Herzensach, und schon im März 2000 erscheint ein neuer Kriminalroman aus der Feder des Wahl-Jenfelders: Falsche Flensburger heißt der Titel, über die Verfilmungsrechte wird bereits verhandelt. Außerdem wurde Gunter Gerlach kurzerhand zum Krimi-Stadtschreiber von Flensburg ernannt, zum allerersten wohlgemerkt.

Auch Lou A. Probsthayn behauptet seit vielen Jahren seinen persönlichen Stil im Literaturbetrieb. Seine Romane und Kurzgeschichten sind geprägt von einer Hass-Liebe zur „Fast-Food-Sprache“ der Konsumgesellschaft. Probsthayn fordert im Internet, man solle „die Sprachmutanten zur Alltagssprache werden lassen“. Als Autor operiert er gewissermassen am offenen Herzen: Rhythmus und Charakter von Werbe-Claims bestimmen oftmals seine Texte. Überdies belebt Probsthayn seine Prosa mit trotzigen Neologismen: „Er bauchte sich ein Bier ein“ ist in einer seiner Kurzgeschichten zu lesen. Lou A. Probsthayn gehörte 1999 zu den Preisträgern des Hamburger Förderpreises für Literatur. Zu den Jury-Mitgliedern zählte der frühere Literaturstipendiat Gunter Gerlach. Die Zusammenarbeit zwischen Gunter Gerlach und Lou A. Probsthayn ist altbewährt. Mitte der 80-er Jahre waren sie zwei von vier Begründern der Hamburger Literaturgruppe PENG. Mit nächtlichen Lesungen im Park propagierten die Aktionisten neue Formen der Vermittlung.

Nun haben sich die beiden wieder einmal zusammengetan und pünktlich zum Jahrtausendwechsel mit vier weiteren Unterzeichnern ein Manifest zur Erneuerung der Literatur vorgestellt. Das sogenannte „Hamburger Dogma“ umfasst 8 Punkte und platzt mit seinem Regelwerk heraus wie der Gummiteufel aus der Kiste. „Adjektive solle vermieden werden“, postuliert Punkt 1. „Gebrauchte Metaphern sind verboten“, heißt es unter Punkt 3, und unter Punkt 5 lesen wir: „Ein Satz hat nicht mehr als 15 Worte.“ Weitere Gebote u.a.: „Es muß im Präsens geschrieben werden, die Perspektive darf nicht gewechselt werden“ und: „Der allwissende Erzähler ist tot.“

Als die Gruppe das Dogma Anfang Dezember auf einer Pressekonferenz vorstellte, reagierte die eher spärlich versammelte Zunft sinnbildlich gesprochen mit einem leicht schiefen Grinsen. Ein PR-Gag? Satire? Oder gar eine verkappte Schreibschule? „Wir wußten, dass wir uns damit blutige Nasen holen“, erklärt Gunter Gerlach am Telefon. Es handle sich bei dieser Aktion „um ein Experiment. Wir schaffen einen Raum. Wer will kann sich anschließen. Alles andere ist weiterhin erlaubt“, ergänzt Lou Probsthayn.

„Niemand kümmert sich heute um die Form der Literatur“, bemängelt Gerlach. Dabei seien es doch oft „bestimmte, Worte, Sätze, die den Leser rausbringen“. Zum Beispiel die „gebrauchten Metaphern“, die das Dogma kategorisch verbietet. Probsthayn: „Wenn eine Szene mitten in der Großstadt spielt und plötzlich die Formulierung auftaucht, dass jemandwie angewurzelt stehen bleibt, passt das überhaupt nicht zusammen. Dahinter steckt reine Faulheit. Wir fordern die Autoren auf, genauer hinschauen.“

Deshalb auch das Gebot des Präsens: Es vermittle Autor und Leser eine „größere Nähe zu dem, was beim Schreiben vor seinem geistigen Auge geschieht“, erklärt er. Etwas Neues soll her. „Zeitgemäße Inhalte in einer aktuellen Form“, fasst Gunter Gerlach zusammen. Wer wäre da dagegen? Mit Verve werben die beiden Autoren für ihr Produkt: „Wer einmal nach dem Dogma schreibt, macht bestimmt eine tolle Erfahrung“, verspricht Gerlach. „Er wird feststellen, dass es ihm hilft.“ Öffentlich zu lesen gibt es an Dogma-konformen Texten bislang nichts ausser Lou A. Probsthayns Kurzgeschichte Rache der Regenwürmer. Der Roman Falsche Flensburger wird, da in Vor-Zeiten entstanden, wohl eher ein klassischer Gerlach-Krimi. Doch bereits im Februar wollen die Verfasser auf einer Lesung einige gemäß dem Hamburger Dogma produzierte Texte vorstellen.

Für Ende 2000 ist sogareine Bilanz-Pressekonferenz geplant, auf der die Dogmatiker die Ergebnisse ihres Experiments bekannt geben werden. Wenn sich die Umsetzung ihres Manifestes dann als gescheitert darstellt, werde dies entsprechend begründet, kündigt Gunter Gerlach schon heute an. Als Autor muss man schließlich Niederlagen einstecken, genau wie schon unzählige Protagonisten in der Literatur. Denn nur dort, so Gunter Gerlach, seien „auch heute noch Verlierer zu Hause“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen