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Apfelbäume anderswo

■ Neujahrsempfang im Rathaus: Elbanrainer fürchten um ihre Zukunft

Ein höherer Symbolwert ist nicht zu schaffen: Ob es sich für ihn noch lohne, ein Apfelbäumchen zu pflanzen, wollte der Neuenfelder Obstbauer Dierk Augustin am ersten Tag des neuen Jahrtausends von Ortwin Runde wissen. „Das kommt drauf an, wo Sie pflanzen“, sagte der Erste Bürgermeister.

Mit noch mehr Mut zum Sarkasmus hätte Runde auf Martin Luther verweisen können: Selbst wenn morgen die Welt unterginge, würde er noch so ein Bäumchen in die Welt setzen, hatte der Reformator glaubensstark verkündet. Was ist dagegen schon die mögliche Verlängerung der Flugzeugpiste für das Airbus-Werk in Finkenwerder mitten ins Obstbaugebiet hinein?

Rund zwanzig Männer und Frauen vom Schutzbündnis für die Elb-region hatten sich in die Schlange der GratulantInnen zum neuen Jahr eingereiht. Sie trugen Bäumchen in Kübeln, versorgten die Wartenden mit gelbroten Äpfeln und machten das BürgermeisterInnen-Duo aus Runde und Krista Sager sittsam auf ihre Ängste aufmerksam. „Wir sind sehr in Sorge um unsere Heimat“, sagte Maren Dierks, gekleidet in eine Tracht aus Neuenfelde. „Wir möchten, dass der Senat sich überlegt, was für eine Wirtschaftskraft wir darstellen.“

Doch die Mahnungen der Leute vom Schutzbündnis bildeten die Ausnahme beim Neujahrsempfang 2000. Fast immer ernteten Sager und Runde Zuspruch: Mut, Kraft und Dank für die Arbeit, „bringen Sie unsere Stadt weiter voran“, „machen Sie so weiter“. Bei Krista Sager wurden die Glückwünsche mit dem gutmütigen Hinweis verbunden: „Ein bisschen mehr grüne Farbe, und dann geht das schon.“ Für den Fall, dass der Riesen-Airbus A3XX nicht in Hamburg gebaut werden sollte, musste die Zweite Bürgermeisterin versprechen, standhaft das Mühlenberger Loch zu verteidigen.

Der Neujahrsempfang der Bürgermeister ist Tradition seit dem 18. Jahrhundert. Damals durften nur Diplomaten und Honoratioren ihre Glückwünsche aussprechen. 1926 lud Bürgermeister Carl Petersen zum ersten Mal alle BürgerInnen und Gäste der Stadt ein. In diesem Jahr waren 1350 Hände zu schütteln. Gernot Knödler

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