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Döneressen kann so heiter sein

■ Doku-Soap: Fünf Frauen trafen sich zum „Abnehmen in Essen“ (20.15 Uhr, Arte)

Die Zeiten sind vorbei, als dick genannt zu werden noch ein Kompliment war, nachdem endlich ein bisschen Fleisch angesetzt worden und Gras über die entbehrungsreichen Jahre gewachsen war. Um den Horizont abzustecken, kamen Fernsehgerät und Wohnzimmergarnitur mitsamt Paprikachips und Nüsschenspender, und aus dieser Ritze ward die Couchpotato geformt, zu deutsch: Sesselpuper.

Das Dickenthema ist inzwischen längst nicht nur vor, sondern vor allem im Fernsehen zur festen Institution geworden, was wohl in der Natur des grassierenden Wohlstands im digitalen Zeitalter und der Liebe des Menschen zur Freakshow liegt. Immer wieder neue TV-Thrills bieten der Typus des jovialen sowie des beharrlich selbstbewussten oder auch klagenden Dicken als Widerstandskämpfer gegen eine weltweite Dünnenverschwörung. Und ebenso wie die Kolonialnachfahren Nordamerikas in aller medialen Breite über die physischen und juristischen Herausforderungen diskutieren, die das Einpassen ihrer überquellenden Birnenkörper in Flugzeugsitze mit sich bringt, begutachtet das rotbackige Kriegskind „deutscher Bürger“, siamesisch verwachsen mit seinem Herrscher, der allgewaltigen Firma Ferrero, den eigenen Hintern und hat gelernt, nichts lieber zu wollen, als drüber zu reden.

Nicht immer muss das – wie in den Nachmittagstalkshows, wo sich regelmäßig dicke Menschen für einen Hundertmarkschein vorführen lassen – von vornherein in die Hose gehen. Dass Dicke auch nicht erst qua Drehbuch zum typgerechten Kommissar oder Pfarrer oder Komödianten erhoben werden müssen, um auf dem deutschen Bildschirm durchzugehen, zeigt Arte anhand einer weiteren ihrer Dokusoap-Reihen mit dem lustigen Titel „Abnehmen in Essen“: Fünf Frauen aus dem Ruhrgebiet nehmen sich zu Silvester 1998 vor, ein Jahr lang zusammen und „öffentlich“ abzunehmen.

Dass der Vierteiler (bis Do. täglich um 20.15 Uhr) so vorzüglich klappt, liegt zweifellos an den fünf Darstellerinnen, die Autorin Claudia Richarz aus 60 Bewerbern ausgesucht hat. Im Beisein der Kamera geben sie sich mindestens so rheinlandwestfälisch-heiter wie die legendäre WDR-Langzeit-Soap-Familie Fußbroich.

Selbstironisch, ehrlich und offensichtlich mit großem Spaß an der Sache zwinkern sie in die Kamera und kommentieren sich selbst beim Döneressen, Schnaufen und Schwimmen, erörtern die eigene Unbeherrschtheit und die Frustration beim kollektiven Wiegen, als hätten sie nie anders ihr Geld verdient, etwa in der Gastronomie oder als Telefonistinnen bei Karstadt im Rhein-Ruhr-Zentrum. Die über 150 Kilo schwere Susanne verkündet, dass sie, wenn endlich ihr Schlüsselbein wieder zu sehen ist, eine Schlüsselbeinparty veranstalten wird und entdeckt auf Mallorca, dass sie wieder die Beine übereinanderschlagen kann. Heike S. probiert große Brautkleider an, Sabina philosophiert vor dem Supermarktregal über Milchreis- und Wölkchengenuss, während Heike M. und Heike H. bei einem Wellness-Wochenende in ihrem Trennkostessen rumstochern und vor dem Schlafengehen auf dem Zimmer darüber kichern.

Dass das Abnehmen am Ende des Jahres beim finalen Wiegetermin nur einer einzigen Freundin wirklich gelungen ist, während die restlichen vier mehr oder weniger gleich schwer geblieben sind, ist dabei für den Zuschauer eine bedauerliche, aber fast unbedeutende Nebensächlichkeit.

Monie Schmalz

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