: Westen im Osten
Wie ein Schmutzring unterm manikürten Fingernagel: Die Bar Eschloraque in Mitte
Was macht man eigentlich so am Hackeschen Markt? Man hält sich hysterisch am Handy fest und vermittelt den Eindruck, eben aus einer Vorabendseifenoper rausgefallen zu sein. Mittendrin steht stoisch die Rosenthaler Straße 39. Zwischen all den Neuemittemenschen, Pradaschuhen und den eben für sie eingerichteten Nobeltrinkhallen erscheint der Komplex als Schmutzring unterm manikürten Fingernagel, den man dann als Exotismus bewundern darf.
In Wirklichkeit ist die 39 aber gar kein ranziger Osthinterhof, den die Partner für Berlin für die Touristen mit Klarlack konserviert haben, sondern eine der letzten Bastionen Westberlins. Hier befindet sich unter anderem das Eschloraque, dessen Dead-Chickens-Interieur die Erinnerung ans verblichene Arcanoa in der Zossener Straße wach hält. In dieser wohl einzigen immer noch postapokalyptisch gehaltenen Cocktailbar der Welt konnte man unlängst einen denkwürdigen Jahreswechsel erleben, als Jim Boom und Patrick von Rossi Records herzergreifende Houseplatten drehten. Alle waren glücklich, keiner wollte gehen.
Was zum neuen Millennium recht ist, kann an schlichten Wochentagen nur billig sein: Seit September bietet das Eschloraque auch an ordinären Dienstagen ein Musikprogramm bei freiem Eintritt, das im Sinne traditioneller Westberliner Politik zusammengestellt wird: Man kennt sich aus dem mehr oder minder metaphorisch zu verstehenden Kiez. In eben diesem wohnen etwa: Zoviet France, die kürzlich live auftraten, oder ein japanischer DJ, der selbst gebrannte CDs mit selbst gemachter Musik auflegte.
Den ersten Termin im neuen Jahr bestreitet heute abend DJ Frozen alias Annibale Picicci, der ansonsten als Teil des Plunderphonikduos Kein Babel auftritt. Im Sinne des Loungegedankens transportiert sein DJ-Koffer heute Abstract HipHop und minimale Electronica. Labyrinth werden dagegen am 18. Januar mit selbst gebauten analogen Elektronikmodulen arbeiten, deren Namen viel versprechend klingen: Die Geräte Stringomat, Transzendent 2000 und Seelefunker produzieren afroasiatische Rhythmen und Sounds, so die Info. Die dazu passenden Lichtmuster projiziert ein Mandalamat. Ebenfalls im Januar, aber noch ohne gesicherte Daten: Jim Avignon mit Kindertrickfilmen plus Musik sowie Robert Lippok & Kazi Lenker mit coolen Platten.
Ulrich Gutmair Eschloraque, Rosenthaler Straße 39. Ab 22 Uhr. Eintritt frei
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen