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Fast freundliche Übernahme

In der Hauptstadt freuen sich fast alle auf „ver.di“. Nach der Fusion will sich die Dienstleistungsgewerkschaft auch um innovative Branchen kümmern ■ Von Dirk Hempel

Sozialvertäglich fusionieren – das können nur die Gewerkschaften. Durch den geplanten Zusammenschluss zur „Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft“ (ver.di) wird bei den beteiligten Beschäftigtenverbänden in Berlin und Brandenburg zwar der ein oder andere Schreibtisch frei. „Unsere Angestellten haben aber alle eine Arbeitsplatzgarantie“, versichert Bernd Lindenau, Vorsitzender der Postgewerkschaft DPG in Berlin und Brandenburg.

Zusammen mit den künftigen Partnern – der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) und der IG Medien – präsentierte die DPG gestern ihre Pläne für das neue Jahrtausend „im innovativen Dienstleistungssektor am Potsdamer Platz“. Da also, wo eine moderne Dienstleistungsgewerkschaft hingehört. Gerade die gewerkschaftlich bisher unerschlossenen Bereiche Multimedia oder Call-Center sollen so erschlossen werden. Denn das tariflich reglementierte Arbeitsverhältnis, die Domäne der Gewerkschaftpolitik, gibt es in diesen boomenden Branchen kaum.

Dass auf die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt mit einer Fusion reagiert werden soll, gefällt allerdings längst nicht allen Gewerkschaftsmitgliedern. Fast wie im Wirtschaftsleben fürchten die kleinen Verbände, von den großen geschluck zu werden.

In Berlin und Brandenburg wird die ÖTV über die Hälfte der ungefähr 320.000 künftigen ver.di-Mitglieder in das Gemeinschaftsprojekt einbringen. Insbesondere HBV-Gliederungen in Brandenburg sperren sich gegen das Zusammengehen, weil sie Budgetkürzungen für ihre Orts- oder Fachverbände befürchten und sich von ver.di nicht mehr repräsentiert sehen.

Dagegen wird die IG Medien als kleinster der fünf Partner nahezu geschlossen eine von dreizehn ver.di-Fachgruppen formieren und für diese tarif- und gewerkschaftspolitische Autonomie beanspruchen.

Die Gewerkschaftsvorsitzenden vertrauen aber getrost auf den Rückhalt ihrer Mitglieder. Und ohne die wird nichts aus der Fusion: „Bei uns wird immer von unten nach oben entschieden“, so der stellvertretende Vorsitzende der IG Medien, Andreas Köhn.

Die ver.di-Gründung soll zwar erst im Februar kommenden Jahres erfolgen, aber in Berlin und Brandenburg wird sich die Entstehung der größten Einzelgewerkschaft im DGB schon bei den Tarifverhandlungen im Frühjahr bemerkbar machen. „Die Unternehmer müssen sich da warm anziehen“, warnte der hiesige DAG-Chef Hartmut Friedrich seine Verhandlungsgegner gestern schon einmal vor. Ziel der vereinten Gewerkschafter: gleiche Bezahlung in Ost und West – wie sie bei Handel, Banken, Versicherungen und bei der Telekom schon durchgesetzt ist.

Mit einem solchen Erfolg soll auch den noch zögernden Mitgliedern das Fusionsprojekt schmackhaft gemacht werden. Selbst eine Hotline und ein gewerkschaftliches Call-Center seien im Gespräch, womit die Gründung von ver.di vielleicht sogar zusätzliche Arbeitsplätze schaffen könne. Und auch wenn nicht: Für jene Stellen, die durch die geplante Fusion der DPG mit HBV, ÖTV, DAG und IG Medien dennoch eingespart werden können, gibt es gewerkschaftsintern bereits Interessenten. Gerade ältere Kollegen freuen sich angeblich bereits auf attraktive Angebote zu Vorruhestand oder Altersteilzeit.

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