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341,2: Über das Geldverdienen im Traum ■ Von Eugen Egner

341,2 machte natürlich auch im Schlaf alles falsch. Infolgedessen träumte er seit einiger Zeit, er sei Professor Drusian, Inhaber des Lehrstuhls für Experimentelle Vergeltungsmedizin an der Universität Segun, von Kollegen und Studierenden geachtet und mit der Tochter des Universitätspräsidenten verlobt. Einmal monatlich suchte 341,2 einen geheimen, ihm im Traum genannten Ort auf und empfing nach Vorlage eines ebenfalls im Traum erhaltenen geheimen Zeichens sein Professorengehalt. Solchermaßen abgesichert, hätte er sich tagsüber ganz der Erforschung außerordentlicher Haarprobleme, vornehmlich seiner eigenen, widmen können. Doch es kam immer etwas dazwischen. Entweder verlor er das Geld, gab es auf dem Heimweg für lauter Marmelade und Armbanduhren aus, oder er musste hohe, wegen von ihm begangener Idiotien verhängte Strafen zahlen. Außerdem trieb ein Inkassobüro mehrmals Schulden in stattlicher Höhe ein, die er versehentlich bei einem Versandhaus gemacht hatte, und immer wieder ließ er sich unnütze, teure Versicherungen aufschwatzen – kurz: Er hatte nie etwas von dem schönen Gehalt.

Durch einen besonders dummen Fehler, den 341,2 eines Nachts beim Träumen machte, geriet Professor Drusian in Schwierigkeiten. Er hatte die Knochen einer Keltin gestohlen und die vor etwa 2.500 Jahren verstorbene Frau im Labor erfolgreich aus ihrer DNS rekonstruiert. Indem er dann aber ein Sexualverhältnis mit ihr begann, zog er sich den gerechten Zorn der Tochter des Universitätspräsidenten zu. Sie drohte ihm mit seiner Ermordung, der Archäologe, dem die Knochen gehörten, drohte mit einem Prozess, und die Keltin machte sich mit einem Fernfahrer in Richtung Süden aus dem Staub. Angesichts dieser Entwicklung schien es Professor Drusian angeraten, der Universität für eine Weile den Rücken zu kehren. Er beschloss, eine Kur zu machen, und beantragte beim Präsidenten zwei Feriensemester, seine Eingabe wurde jedoch ohne Angabe von Gründen abgelehnt. Ihm blieb also nichts übrig, als fristlos zu kündigen. Auf die Kur mochte er aber trotzdem nicht verzichten und meldete sich im Sanatorium des berühmten Dr. Hoffmann an. Seine Ersparnisse reichten gerade für einen einjährigen Aufenthalt, und weil er sich nach all dem Ärger endlich einmal etwas gönnen wollte, buchte er das Kafka-Zimmer. Im Anschluss an seine Abschiedsvorlesung schenkte er den Studentinnen und Studenten Geld, damit sie sich etwas kaufen konnten. Einige gaben jedoch viel zu viel aus, so dass Professor Drusian fürchten musste, sich das Kafka-Zimmer nicht mehr leisten zu können. Seine Stirnhaare explodierten. Obendrein wurde er von der eifersüchtigen Tochter des Universitätspräsidenten umgebracht.

Damit hatte 341,2 seine Einkommensquelle verloren. Ersatzweise versuchte er zu träumen, er arbeite als Konstrukteur synthetischer Tiere bei einem riesigen Konzern und pflege ein Verhältnis mit der Sekretärin des Chefs. Selbstverständlich gelang ihm das nicht. Er fiel lediglich aus dem Bett. Für den Rest des Jahres träumte er mit geschwollener Unterlippe, eine ältere Dame stelle ihn als monströsen Leichnam unbekannter Herkunft auf Jahrmärkten aus. Von den Einnahmen gab sie ihm nichts ab.

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