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„Theaterleute sind ein fahrendes Volk“

■ taz-Serie „Neu in Berlin“ (13): Der Theatermacher Hermann Beil kam mit Claus Peymann vom Burgtheater in Wien zum Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm. Sowohl an der Stadt als auch beim Theatermachen und beim Tortenbacken interessieren ihn die Details mehr als Abstraktes

Hermann Beil ist künstlerischer Mitarbeiter am Berliner Ensemble. Seit 25 Jahren arbeitet er mit Claus Peymann zusammen und war zuletzt neben Peymann Direktor am Burgtheater in Wien.

Ich bin nun seit September in Berlin. Für mich als Wiener steht nicht im Vordergrund, dass ich nach Ostberlin gegangen bin. Ich bin an eine Berliner Bühne gegangen. Zehn Jahre nach dem Fall der Mauer nehme ich mir das Recht heraus zu sagen, mich interessieren die einzelnen Details, aber nicht mehr der abstrakte Gegensatz zwischen Ost und West. Auf die Dauer ist das langweilig und hemmend, ständig in solchen Gegensätzen zu denken. Das Schiffbauerdamm-Theater lebt heute wie einst aus dem Augenblick heraus. Es ist nicht das fest gefügte große Staatstheater mit einer tollen Struktur, sondern es muss sich auf dem Markt und der Öffentlichkeit aus dem Augenblick heraus behaupten. Ich finde es wunderbar, dass es an so einem Kanal liegt mit dem Bahnhof im Hintergrund. Die Friedrichstraße ist Inbegriff eines Weltstadtbahnhofs, vor allem nachts, wenn es so glitzert und die Züge fahren vorbei.

Theater ist für mich nie eine abstrakte Idee, nie große Theorie. Theater ist für mich immer: Menschen und ihre Probleme. Und unser ständiges Problem ist, wie können wir die Gegenwart auf der Bühne fangen, sodass die Zuschauer das Gefühl haben, das geht mich mal etwas an. Wir werden am Berliner Ensemble junge und alte Autoren spielen.

Diese ganze Debatte über jung und alt finde ich sowieso langweilig. Der Leiter der Schaubühne, Thomas Ostermeier, hat Peymann und auch mir vorgeworfen, ein Theater der alten Männer zu machen. Na und. Und ich werde mich deswegen nicht künstlich jünger aufspielen, als ich tatsächlich bin. Die ganze Scheindebatte um den so genannten Generationswechsel hat der 85 Jahre junge George Tabori einen „Degenerationswechsel“ genannt. Ich könnte auch polemisch fragen, was ist denn das Theater der jungen Männer? Von Ostermeier, den ich ja sehr schätze, habe ich schon Inszenierungen gesehen, da würde ich nicht auf die Idee kommen, dass sie von einem jungen Regisseur sind. Aber das ist auch nicht schlimm. Man kann das Theater ja gar nicht ständig neu erfinden. Auch Ostermeier wird irgendwann mal ein älterer Herr sein, der dann hoffentlich immer noch Theater macht. Im Grunde amüsiert mich die Debatte, weil sie überhaupt nicht neu ist und periodisch wiederkehrt wie das Schaltjahr. Für mich war es seither eine Freude und ein Gewinn, mit alten Kollegen zusammenzuarbeiten, von ihnen zu lernen.

Berlin ist ja eine ganze andere Welt als Wien. Dort gibt es eine lange Theatertradition. Die Theaterzuschauer haben dort alles gesehen, erinnern sich daran und haben deshalb automatisch eine Vergleichshaltung. Ich habe einmal ein Gespräch von zwei alten feinen Damen während einer Umbauphase mitbekommen. Die eine fragt die andere: „Naa, wie gefallts Ihnen denn?“ Kleine Pause. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dieses Stück schon einmal gesehen zu haben.“ In Wien gibt es geradezu Leidenschaft. 18-Jährige erzählen mit glühenden Augen von Schauspielern, die sie gar nicht mehr gesehen haben können, weil die vor 30 Jahren gestorben sind. Die tun so, als ob die noch immer auf der Bühne stehen. Die Theatergier ist in Wien grenzenlos. Theater ist dort ein Naturgesetz. Auch heute noch. Und es gibt wegen Theater Glaubenskriege, da entstehen Ehekrisen größter Art. Wie das Bedürfnis in Berlin ist, ist auch unsere Aufgabe herauszufinden. Wir haben einen Spielplan gemacht, und der ist ja zunächst erst einmal eine Behauptung, eine These. Man muss schauen, ob die einen Widerhall findet.

In Wien gab es ja immer über alles gleich eine große Aufregung. Denn das Burgtheater ist nun mal ein Mythos. Der Taxifahrer sagt dort eben wirklich im Brustton der Überzeugung: Und hier sehen Sie unser Burgtheater, die erste Bühne deutscher Zunge. Das Burgtheater wird mit der Muttermilch eingesogen. Was man da macht, hat immer nationale Bedeutung. Man kann die Nation zur Wallung bringen.

Das ist in Berlin sicher anders. Hier sind wir ein Theater unter vielen. Man kann nicht sagen, ich oder wir machen jetzt alles anders als die anderen. Es ist sowieso anders. Mir persönlich wünsche ich ein Theater von großer Klarheit, mit Witz, Spielfreude und spiritueller Leichtigkeit. Dass Fragen auf der Bühne gestellt werden, die nicht langweilig sind, und dass es kein marktschreierisches Theater ist, aber auch kein in sich vergrübeltes Theater, sondern ein Theater, das hellwach ist und eine Zartheit hat, die trotzdem Kraft ausstrahlt und den Zuschauern das Gefühl gibt, da können sie zu Hause sein.

Klarheit bedeutet für mich auch, dass der Figuren Antriebe und Gefühle sichtbar werden und nicht bloß behauptet werden. Politisches Theater drückt sich nicht durch politische Bekenntnisse aus, sondern indem man eine Fantasie auf der Bühne entfacht, die politisch wirkt. Politisches Theater, dass nur gut gemeint ist, bleibt ja auch nur gut gemeint, also langweilig und wirkungslos.

Mit Peymann arbeite ich seit 25 Jahren zusammen. Wir siezen uns immer noch. Wir beide finden das ganz wunderbar und normal. Es ist eine Form der Distanz, die ermöglicht, dass man so lange zusammenarbeitet und alle möglichen Spannungen aushält. Es kann aber auch daran liegen, dass wir den Begriff Freundschaft nie strapaziert haben. Ich habe schon oft erlebt, dass Theaterleute die engsten Freunde sind, das beschwören und sich kurze Zeit später gegenseitig in die Pfanne hauen. Das, was auf der Bühne abgebildet wird, entspricht ja auch oft dem, was hinter den Kulissen stattfindet. Mord und Totschlag. Das war nie unsere Praxis.

Also, ich hab in Berlin nur einen Koffer und wohne in einer möblierten Wohnung direkt um die Ecke des Berliner Ensembles. Es fehlen mir alle meine Bücher, meine Bilder, meine Schallplatten, meine Kochgeräte. Irgendwie bin ich ein Gastarbeiter, einer unter vielen, aber Theaterleute sind sowieso fahrendes Volk. Wehe, man vergisst das.

Wenn ich in Berlin etwas Besonderes erleben will, gehe ich halt ins Konzert. Das ist für mich wie ein Feiertag und hat für mich einen langen Nachhall. Als ich beispielsweise Anfang September gemerkt habe, dass die Wiener Philharmoniker in Berlin sind, habe ich sofort Peter Böhme angerufen, aber als der sagte: „Tut mir leid, ausverkauft“, da habe ich gesagt: „Wenn du einem Wiener verwehrst, in die Philharmonie zu gehen, dann zünde ich die Philharmonie an.“ Und so half er mir. (lacht) Der Peter Böhme verstand eben meine Not.

Wenn es stürmt, lese ich gerne Kochbücher. Das ist eine Art Poesie für mich. Ich vergleiche verschiedene Rezepte, und wenn ich Fehler finde, triumphiere ich. Ich stelle mir auch immer vor, wie die Gerichte wohl schmecken. Ich muss sie nicht essen, die Vorstellung allein genügt mir. Meine Hauptleidenschaft ist wohl das Tortenbacken. Ich kann jetzt 15 Torten. Mich interessieren aber nur Torten mit besonderen Zugaben, zum Beispiel die Kürbiskerntorte oder die Maismehltorte. Eine gewisse Berühmtheit hat meine Schokoladentorte. Ich konnte sie bereits als dramaturgische Wunderwaffe, so zum Beispiel zwischen Hans Neuenfels und Klaus Maria Brandauer, einsetzen, die einmal zerstritten waren. Mittels dieser Torte setzte ich das Gespräch der beiden wieder in Gang und die Premiere von „Virginia Woolf“ fand tatsächlich statt.

Jetzt bin ich gerade mit meinem Buch fertig geworden. Ein Büchlein. Es heißt „Theaternarren leben länger. Hundert und dreieinhalb Geschichten aus dem Burgtheater“. Es wird im März in Paul Zsolnay Verlag erscheinen. Das sind alles wahre Geschichten – fast alle, ein paar sind auch erfunden. Garantiert authentisch aber sind die drei Theatertorten, die ich beschreibe.Zugehört hat Annette Rollmann

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