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Electric Namedropping

Thomas Fehlmann hat sie alle gehabt: New Wave, Ambient, Elektronik. Mit „One To Three. Overflow; NineNine/ND“ schreibt er an seiner Autobiografie ■ Von Andreas Hartmann

Thomas Fehlmann hat nie bloß sein Ding durchgezogen. Seit dem Aufbruch des New Wave Anfang der Achtziger hat er immer wieder neu seine transformatorischen Fähigkeiten bewiesen hat. Damals war er einer der vielen Kunsthochschüler, die nach dem Punk in der Neuen Welle die Freiräume fanden, die der ausgebrannte Kunstbetrieb nicht mehr bieten konnte. Zusammen mit Holger Hiller gründete er in Hamburg Palais Schaumburg, eine der einflussreichsten deutschen New-Wave-Bands überhaupt.

Doch bald war das mit der Aufbruchstimmung in der Popmusik wieder vorbei, 1984 lösten Palais Schaumburg sich auf. Man wartete auf die nächste Explosion, auf den nächsten Punk. Nicht lange: Aciiiiiieed! war der Schlachtruf, der Ende der Achtziger in England wie eine Bombe einschlug.

Fehlmann hatte sich inzwischen von den Rockexperimenten verabschiedet und angefangen, die Linie deutscher Elektronik-Tüfteleien fortzusetzen. Er gründete ein Label für elektronische Musik und zog nach London. Englands Hauptstadt brannte, die Zeichen standen auf Sturm, Techno, House und Acid waren allgegenwärtig. Fehlmann wurde Mitglied der legendären Ambient-Combo The Orb um den Soundtüftler Alex Paterson und ging mit ihnen als DJ auf Tour. Der Schritt vom Kunsthochschul-Punk zum elektronischen Avantgardisten war endgültig vollzogen.

Langsam kam man auch in Deutschland in die Gänge. Techno war die erste nicht gescheiterte Revolution in Deutschland, Berlin die Stadt der Bewegung und Fehlmann wieder mittendrin. Bei einigen wegweisenden Produktionen des Berliner Labels Tresor hat er mitgefingert, sein Projekt 3MB zusammen mit dem Berliner Basic-Channel-Mitbegründer Moritz von Oswald und der Detroiter Techno-Legende Juan Atkins ist legendär.

Als Techno hier zu Lande in seine kommerzielle Konsolidierungsphase eintrat, zog sich Thomas Fehlmann, wie damals, am Ende des New Wave, wieder aus dem Zentrum des Geschehens zurück und arbeitete am Rand als Produzent und DJ. Überraschend erschien letztes Jahr eine Art Werkschau seines Schaffens aus den letzten Jahren, und noch überraschender ist es, nun eine komplett neue CD von ihm in den Händen halten zu können.

Nach Punk und Acid blieb am Ende der Neunziger eine radikale Neubestimmung der Popmusik aus. An allen Ecken und Enden ging es vielmehr um Verfeinerungen und Grenzüberschreitungen. Somit kann Thomas Fehlmanns Platte „One To Three. Overflow; NineNine/ND“ kein Hurrikan sein. Will sie aber auch gar nicht. Sie zieht eher ein Resümee, verdichtet die Biografie Fehlmanns und funktioniert als persönliches Up-Date zum derzeitigen Stand der elektronischen Musik, die längst begonnen hat, sich nicht nur selbst zu recyceln, sondern derzeit besonders New Wave als Frischzellenlieferant abtastet.

Während andere Technoide sich somit eifrigst an der musikalischen Sozialisation ihrer Jugend abarbeiten, kann Fehlmann sozusagen auf sich selbst zurückgreifen, und die Gästeliste seiner Platte markiert die Stationen seines Lebens: Robert Fripp ist dabei, Daniel Miller, der Besitzer des einflussreichen New-Wave-Labels Mute, die Ambient-Formation Sun Electric, mit der Fehlmann intensiv gearbeitet hat, Juan Atkins, die Elektro-Akustiker To Rococo Rot aus Berlin und andere. Alles Musiker, die für Fehlmann in unterschiedlichen Kontexten wichtig waren oder sind. Oder er für sie.

Fehlmann macht zusammen mit Gudrun Gut den „Ocean Club“, eine wöchentliche Zwei-Stunden-Sendung auf Radio Eins, in der man vor allem obskure Electronica zu Hören bekommt. Als Spezial-DJ ist man dazu gezwungen, sich intensiv mit Musik auseinanderzusetzen und „dadurch bekommt man einen größeren Überblick über das derzeitige musikalische Geschehen“, meint Fehlmann – und man hat mehr Möglichkeiten, sich beeinflussen zu lassen. Beispielsweise von dem aktuellen Sound aus Köln, entspanntem Minimal-Techno mit hohem Popfaktor. Der ist auf der neuen Platte in den weichen Fehlmann-Techno mit eingeflossen.

Wichtig auch hier: Fehlmanns Interesse für Konzeptuelles, das ihn immer wieder nach neuen Formen des musikalischen Ausdrucks suchen lässt. „Idee vor Technik“ heißt heute vor allem, den Köln-Techno auf eigene Weise zu interpretieren. „Bei Robert Fripp hat mich immer fasziniert, wie er sich von dem Dinosaurier King Crimson verabschiedet und damit begonnen hat, auf seine Weise mit Synthesizern umzugehen“, sagt Thomas Fehlmann: „Er hat sie schon immer so benutzt wie ich an der Hochschule eine Filmkamera. Am Anfang steht das Konzept, und die Maschine ist bloß das Mittel, mit der man seine Ideen umsetzt.“

Auf der neuen Platte von Fehlmann ist Fripp bei einem Stück für die Gitarren und „electric devices“ zuständig. „Device“ bedeutet „Gerät“ – und „Einfall“.

Thomas Fehlmann: „One To Three. Overflow; NiniNine/ND“ (R&S/ZOMBA)

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