: Das Leben ist ein Reifen ist ein Reifen
■ Zwischen Urwald und Metropole: Am Sonnabend starten die Dritten Brasilianischen Filmtage im 3001
Das Leben geht mal vorwärts, mal rückwärts, und mal kommt es am Ausgangspunkt wieder an. Ein Reifen eben, findet Bel, die 16-jährige Heroine aus Tyzuka Yamasakis Fica comigo („Bleib bei mir“, 1997). Mit Hilfe dieser Lebensphilosophie erschließt sich denn auch der metaphorische Zaunpfahl zu Beginn des Films in all seiner herb-schönen Wahrheit: Das Leben kann auch mal eine Reifenpanne sein.
Als Bel noch Dora hieß, lebte sie im Waisenhaus – bis der Ex-Polizist C.H. sie dort rausholt und aufzieht. Krumme Geschäfte ermöglichen einen Lebensstil, der wenige Wünsche offen lässt, auch wenn sich erste Konflikte zwischen dem Adoptivvater und seiner Lolita andeuten. Als eine Upper-Class-Party von einigen jungen Banditen aufgemischt und Bel als Geisel mitgenommen wird, spitzt sich die Lage merklich zu. Um dem Geiselnehmer, den sie für einen ihrer Brüder hält, ärztlich versorgen zu lassen, klaut Bel dem Adoptivvater viel Geld, schrammt mit dem vermeintlichen Bruder knapp am Inzest vorbei, kehrt zurück und wird wieder ins Waisenhaus gesteckt – ein Reifen eben...
Auch Macunaíma (1969) ist ein Reifen. Joaquim Pedro de Andrades Film war ein Kassenschlager des brasilianischen „Cinema novo“, was sich wohl auch der Mitwirkung des bekannten Komikers Grande Otelo verdankt. Die anarchistische Komödie startet im Urwald, macht dann einen Zwischenstopp in der Metropole, um schließlich wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Ein Reifen mit parabelhaftem Profil, geht es doch um nichts weniger als eine Erklärung von Brasilien. Da uns dies mit viel Endsechziger-Esprit und surrealem Charme unterbreitet wird, sehen wir gerne zu und wundern uns gar nicht, dass Macunaíma als erwachsener Schwarzer zur Welt kommt, durch eine magische Quelle zum Weißen wird, sich mit Menschenfressern plagen muss und von einer revolutionären Bombenlegerin lieben lässt, nicht arbeitet, sondern sich dem Recht auf Faulheit mit Verve hingibt. Zu viele Ameisen und zu wenig Gesundheit – das Urteil über die Metropolen ist dann ebenso vernichtend, wie es augenzwinkernd ausfällt.
Der Urwald, insbesondere der des Amazonasgebietes, war Ziel des brasilianischen Regisseurs Silvino Simoes dos Santos, der sein Handwerk noch bei Pathé-Fréres und den Brüdern Lumiére in Frankreich lernte. Cineasta da selva (1997) von André Michiles porträtiert den Pionier, der in zahlreichen Filmen ein Gebiet dokumentierte, das in dieser Art nicht mehr existiert. Der vierte Beitrag der Dritten Brasilianischen Fimtage im 3001 ist die Filmbiografie Baile Perfumado („Ball im Parfümrausch“, 1997) von Paulo Caldas.
Tim Gallwitz
Cineasta da selva:Sa, 8. Januar, 20 Uhr;Baile perfumado:So, 9. Januar, 20 Uhr;Macunaíma:Mo, 10. Januar, 20 Uhr;Fica comigo: Di, 11. Januar, 20 Uhr
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