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Bauchpanzer und Lungenflügel

Gerhard Hahns Skulpturen in der Galerie der Mathematischen Fachbibliothek der TU

Vor kurzem antwortete ein Physiker im Radio auf die Frage, was die Weltraumfahrt der Menschheit denn außer der Teflonpfanne gebracht habe: „Ressourcen für die Fantasie.“ Kaum eine der intergalaktischen Katastrophengeschichten jedoch kommt kurz vor dem glücklichen Ende ohne einen Satz aus wie: „Entweder wir schaffens oder wir verglühen.“ Die Hitzeschilde der Raumkapseln gehören offenbar zum dramaturgisch ergiebigsten Teil ihrer Ausstattung. Kein Wunder also, dass der synthetische Werkstoff Siliciumcarbid, der bei 2.450 Grad Celsius gebrannt wird, gern mit seiner Anwendung in der Raumfahrt vorgestellt wird.

Strahlend wie Diamant glitzert das Siliciumcarbid in den Skulpturen, die der Berliner Bildhauer Gerhard Hahn aus dem ungewöhnlichen Material gegossen hat. 1998 stellte eine französische Firma ihm 600 Kilogramm für seine Experimente mit der Industriekeramik zur Verfügung. Beim Bau der Gießformen in der Gipsformerei und an den Brennöfen halfen ihm Betriebsangehörige. In der Abstimmung zwischen den industriellen Produktionsvorgängen und seinen ästhetischen Konzepten liegt für Gerhard Hahn der Reiz dieser Kooperationen. Und so kann er heute auch über eine Reihe von Objekten lachen, die wohl meinende Arbeiter für ihn glatt geschliffen hatten, ohne zu ahnen, dass es ihm gerade auf die Unregelmäßigkeiten angekommen war: „Damals habe ich geheult.“

„Innere Oberflächen/Alles fließt“ nennt er die schalenförmigen Elemente, in denen das Gießverfahren selbst zum Thema wird. Wie Gussformen für eine anonyme Massenproduktion sehen die Skulpturen aus. Die größte der Wölbungen erinnert an den Bauchpanzer eines gigantischen Käfers, weitere Ausbuchtungen sehen wie symmetrisch angeordnete Organe aus – Lungenflügel oder Nieren. Irgendwann taucht dabei eine leicht gruselige Vorstellung von einem organischen Ersatzteillager auf.

Dies zweideutige Schillern zwischen technischem Ding und durchblutetem Körper war den Skulpturen Hahns schon eigen, als er sie noch aus Ton im Garten der Hochschule der Künste in einem selbst gebauten Gasofen brannte. Bei dem Ensemble „Analyse des mobilen Glücks“ lag ein Herz in einer Ölwanne. Die ähnlichen Funktionsweisen von Benzinpumpen und Herzen, von Lungen und Membranen brachten ihn auf das Vokabular. In der Verschmelzung von Menschlichem und Technischem beschrieb er aber auch ein merkwürdig zwiespältiges Alltagsverhältnis zur Technik: So lange sie funktioniert, nutzen wir sie als verlängerten Arm; doch wenn sie aussetzt, baut sie sich schnell zu einem mythischen Popanz auf, dem man fast hysterisch begegnet.

Eine Reihe von „Membranen“ aus Ton liegen nun wie Satellitenschüsseln oben auf den Bücherregalen der Mathematiker im TU-Gebäude, als gälte es, verborgene Signale aus ihren Hirnen aufzufangen. Trockenrisse und schwarze Verfärbungen dort, wo sich der Brennstoff in die Oberfläche gefressen hat, vergegenwärtigen die schwer kalkulierbare Kraft des Feuers. Ähnlich programmatisch ist die Störung des normalen Produktionsprozesses auch bei den schildähnlichen Eisenskulpturen angelegt, die 1997 in einer großen Eisengießerei in Wisconsin, USA, entstanden. Durch Verlangsamung des Gießens verband sich das Metall nicht mehr vollständig. Die zerrissene Struktur gibt den Schilden ein archaisches Ansehen, als ob die Zeit ein altes Zeichen der Macht zerfressen hätte. So durchquert Hahn nicht nur in den Materialien Ton, Eisen und Siliciumcarbid unterschiedliche Epochen der Industrie, sondern verschmelzt die Zeithorizonte auch in seiner Formsprache.

Seit 1996 arbeitet Hahn in industriellen Werken, teils direkt von den Firmen gesponsert, teils mit Hilfe von Stipendien. Für den früheren Ingenieur ist das eine Rückkehr unter neuen Vorzeichen; sich nicht mehr der Zweckorientierung des industriellen Produkts zu unterwerfen, sondern ihr mit Bildern zu antworten. Die Industrie erhofft sich umgekehrt von der Zusammenarbeit anregende Präsentationsformen. Dem Bildhauer spart die Kooperation das Atelier. In Berlin hat er nur einen Lagerraum. Katrin Bettina Müller

Gerhard Hahn, bis 3. 2., Mo-Fr 9-20 Uhr, Galerie der Mathematischen Fakultät der TU, Strasse des 17. Juni 136.

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