Jenseits des Lifestyles

Berlin Scanner: Hasenzähne oder spritzende Toilettensitze, du hast die Wahl. In Neukölln beim „Zauberkönig“ war ■ Tanja Dückers

Ich bin auf der Suche nach einem schicken Plastikschnauzbart, mehrere Kaufhäuser habe ich schon durchkämmt. Da fällt mir plötzlich Marillian ein, der Zauberer, der letztens an meinem Restauranttisch ein Feuer entfachte, das ebenso schnell wieder verschwand, wie es aufgetaucht war.

Tagsüber arbeitet Marillian im „Zauberkönig“, dem „Fachgeschäft der Magie“. Ich schlurfe die Hermannstraße entlang, vorbei an Woolworth, Gemüseladen, Krimskramswühltischen. Verloren auf einer Straße, die hoch an der Ecke Thomasstraße verkündet: „Paul Irrgang – Damenoberbekleidung“, finde ich mich gemütlich wieder „Bei Papa“ ein, um kurz Pommes zu tanken. Der „Zauberkönig“ ist nicht mehr weit. Zwischen den Friedhöfen, auf denen pietätsloserweise Beleuchtungsanlagen des Flughafen Tempelhofs installiert sind, liegt der kleine Zauberartikelladen – gegründet 1884, in Neukölln seit 1952.

Kaum nähere ich mich dem Schaufenster, um die „Magnetkußpuppen Romeo und Julia“ in Augenschien zu nehmen, hat Marillian mich auch schon erspäht. Ich folge dem Blick seiner durchdringend blauen, schwarz umrandeten Augen und trete ein. Vorsichtig blicke ich mich um, umringt von unzähligen Masken, die an der Decke herabbbaumeln – von Star Wars bis Huibuh.

„Ich ... suche einen Schnurrbart“, murmele ich, während die Masken unentwegt grinsen. „Aber natürlich.“ Marillian zückt sofort einen Aktenordner, in dem wie Schmetterlinge die unterschiedlichsten Bärte und Bartmoden mit Namen versehen aufgesteckt sind. Ich habe die Wahl zwischen dem „Blödelschorsch“, dem „Beamtenbart“, „Al Capone“, dem „roten Dandy“, dem „Kaiser Wilhelm Kraut“ oder der „Riesenschnurre“, um nur einige zu nennen. Ich entscheide mich schließlich für „Al Capone“, nachdem ich mir einen Taschenspiegel vorgehalten habe. Genau 3,50 Mark kostet mich das gute Stück.

Nun erweckt der Schriftzug „Iiiiih ... Scheiße am Schuh“ meine Aufmerksamkeit. Marillian, unter dessen schwarzem Hut ein langer blonder Zopf hervorlugt, erläutert mir in seiner ruhigen, höflichen Art, dass es zwei verschiedene Arten von Scherzartikeln gebe: Scherzartikel und Verscherzartikel. Der täuschend echt aussehende Scheißhaufen, das Kaugummi mit Schlagfeder, das Juck-Klopapier und der spritzende Toilettensitz gehören zweifellos in letztere Kategorie. Plötzlich betritt von hinten aus einer Tür zwischen den Regalen eine gut aussehende Frau mit langen, schwarzen Locken den Raum. „Das ist die Chefin, Frau Mona Krause“, sagt Marillian bedächtig.

Die Frau mit dem Tonio-Kröger-Namen lässt ihre dunklen Augen über ihr Reich schweifen. Dann beginnt sie zu erzählen von der über hundertjährigen Geschichte des „Zauberkönigs“. Weit über die Grenzen Berlins hinaus ist er schon bekannt, Anhänger magischer Zirkel pilgern nach Neukölln, und sogar vom ehemaligen Bezirksbürgermeister wurde der Laden geehrt. 1984, bei der 100-Jahr-Feier boten Zaubergrößen wie „Chu-Man-Fu“ und „Belachini XIII“, die Jungtalente „Axel und Dirk“ und nicht zu vergessen die einzige Frau „Hexy“ ihre Künste feil. Der „Zauberkönig“, ein Neuköllner Unicum, zieht die unterschiedlichsten Kunden an, meinen Marillian und Mona, die Besitzerin.

Draußen auf der Hermannstraße stehen zwei Jungs in Anoraks und Turnschuhen, die sich für einen Becher interessieren. Nachher, beim Hinausgehen, verstehe ich, warum: Auf dem Becher prangt über dem Bild eines bumsenden Paares im Gebüsch der sinnige Spruch: „Da ist was im Busch.“ Wahrscheinlich ein echter Kassenschlager, hier in Neukölln. Neben den Jungs krümmt sich ein alter Knilch mit Hornbrille, an der ein Bügel fehlt, über ein in Altdeutsch gehaltenes Buch über Numerologie.

Für jeden ist etwas dabei, und das auch noch zu äußerst moderaten Preisen: Hasenzähne sind für 2 Mark zu erwerben, „Iiiiih ... Scheiße am Schuh“ für 3 Märker, Kaugummi mit Schlagfeder für ganze 1,50; selbst ein aufwendiger Orakelkartensatz kostet nur 12,50 Mark. Das ist Neukölln, fern der neuen Lifestyle-Zentren der Friedrichstaße, der Hackeschen Höfe, ein Bezirk, in dem man Geschäfte wie „Waffen zweiter Wahl“ und den „Sarg Discount“ (daneben) finden konnte und von morgens bis abends mit Hunden aller Größen spielen kann.

Mit der „Al Capone-Schnurre“ im Gesicht betrete ich wieder die laute Hermannstraße. Eine Polizeikolonne rast mit Blaulicht vorbei, hinter ihr fährt gemächlich ein Liegefahrradfahrer mit Walkman. Und vor dem Schaufenster des „Zauberkönigs“ interessiert sich jetzt eine Oma im konsequenten Sechzigerjahre-Outfit für eine ausgeblichene Packung Knallfrösche.

Der „Zauberkönig“, Hermannstraße 84–90 (zwischen den Friedhöfen)