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In Äthiopien geboren, aus Äthiopien vertrieben

Seit Ausbruch des Krieges mit Eritrea gelten die in Äthiopien ansässigen Eritreer als unerwünschte Personen. Zu zehntausenden sind sie von den Behörden enteignet und über die Grenze gejagt worden

Die Vertriebenen mussten einen Verwalter für ihr Hab und Gut bestimmen. Die mussten es kurzfristig verkaufen und wurden oft selber deportiert.

Asmara (taz) – Geduldig wartet Hewit Haile-Michael im Schatten, dass sie aufgerufen wird, ihre Getreideration für zwei Monate abzuholen. Die 45-Jährige ist eine von fast 10.000 eritreischen Bauern, die aus Äthiopien vertrieben wurden und im Lager Jejah in der eritreischen Provinz Gash Barka Unterschlupf gefunden haben.

Sie wurde in Adu Ala geboren, einem Dorf in der nordäthiopischen Provinz Tigray. Sie weiß noch ganz genau, wie sie ihre Heimat verlassen musste. „Im Februar kam jemand von der Stadtverwaltung zu uns und sagte, wir müssten gehen“, erzählt sie. „Wir mussten uns auf dem Dorfplatz versammeln. Dann haben die Polizisten in die Luft geschossen.“

Sie musste alles zurücklassen, nicht einmal eine Wegration für den viertägigen Marsch durfte sie mitnehmen. „Die Tigreer in unserem Dorf haben geweint, als wir vertrieben wurden“, sagt sie. „Wir haben alles zusammen gemacht – gearbeitet und gefeiert. Ich habe immer nur in Äthiopien gelebt. Ich war nie woanders.“

Seit dem Beginn des Krieges zwischen Äthiopien und Eritrea im Mai 1998 hat die äthiopische Regierung nach Angaben der eritreischen Menschenrechtsrorganisation „Bürger für den Frieden“ (CPE) 65.000 Menschen ausgewiesen. Nach äthiopischen Angaben waren es nur rund 40.000.

Der äthiopische Ministerpräsident Meles Zenawi begründete diese Politik schon im Juli 1998 gegenüber dem staatlichen „Radio Äthiopien“ so: „Solange ein ausländischer Staatsbürger in Äthiopien lebt, ob Eritreer oder Japaner, lebt er hier wegen des guten Willens der äthiopischen Regierung. Wenn wir sagen: Geh, weil wir die Farbe deiner Augen nicht mögen – müssen sie gehen.“ Und der äthiopische UNO-Botschafter Fissiha Asgedom verteidigte vor kurzem die Deportiationen mit dem Argument, es würden nur Eritreer ausgewiesen, die „zur Finanzierung der Kriegsmaschine in Asmara beigetragen haben“, und solche, welche „in Spionage und Verschwörung zur Schwächung der Wirtschaft Äthiopiens verwickelt waren“.

Nach Angaben von CPE hatten 83 Prozent der Vertriebenen einen äthiopischen Personalausweis. Viele von ihnen wurden in Äthiopien geboren, und ihre Muttersprache war Äthiopiens wichtigste Sprache Amharisch. Doch die äthiopische Regierung stellt sich nun auf den Standpunkt, dass jene, die 1993 in Äthiopien an dem Referendum zur Unabhängigkeit Eritreas teilnahmen, und denen dabei zusätzliche eritreische Personalausweise ausgestellt wurden, automatisch ihre äthiopische Nationalität verloren haben.

Eine gesetzliche Regelung dazu hat die äthiopische Regierung allerdings nicht geschaffen, und ihre Interpretation birgt zumindest einen Widerspruch in sich: Denn jene, die auf diese Weise 1993 Eritreer geworden sein sollen, durften 1995 an den Wahlen in Äthiopien teilnehmen. Sie taten das auch und stimmten in großer Zahl für die heutige äthiopische Regierung.

Damals waren die „Eritreer“, deren Befreiungsbewegung 1991 zusammen mit Äthiopiens heutigen Herrschern aus Tigray die Diktatur des kommunistischen Militärmachthabers Mengistu Haile Mariam gestürzt haben, noch die loyaleren Äthiopier. Für sie war es in der weitgehend staatlich dominierten äthiopischen Wirtschaft einfach, lukrative Jobs zu bekommen. Wenn sie an der „Befriedungs- und Stabilitätskampagne“ unmittelbar nach dem Machtwechsel teilnahmen, wurden Waffen an sie verteilt, und einige wurden sogar in die regionalen Volksvertretungen gewählt.

Viele zahlten deshalb Parteibeiträge an die Regierungsparteien beider Länder – die eritreische EPLF und die äthiopische EPRDF, beides ehemalige Guerillaorganisationen. „Ich finde es unverschämt“, sagt die vertriebene Bäuerin Haile-Michael, „dass man uns heute vorwirft, wir hätten für den eritreischen Krieg gesammelt. Es war doch kein Geheimnis, dass wir Beiträge an die EPLF zahlten.“ Sie war EPLF-Sekretärin in ihrem Kreis und hat einen äthiopischen Personalausweis. „Unsere Arbeit wurde ja sogar von der EPRDF ermutigt, und unser Versammlungsraum wurde von der Regierung zur Verfügung gestellt.“

Doch Äthiopien hat nicht nur EPLF-Mitglieder ausgewiesen. Die Deportationen schienen jeden treffen zu können, der eritreischer Herkunft ist. Die Vertriebenen mussten einen Verwalter für ihr Hab und Gut bestimmen. Oft waren das Angehörige, denen dann eine kurze Frist blieb, um das Eigentum zu verkaufen. In vielen Fällen wurden auch sie vor Ablauf dieser Frist deportiert.

Trotzdem glaubt der eritreische Präsidentenberater Yemane Gebre-Meskel, dass Äthiopier und Eritreer „in zehn Jahren wieder friedlich zusammenleben werden.“ Er meint: „Schauen Sie sich Europa an. Nach dem Weltkrieg haben sich die Gegner auch schnell wieder versöhnt.“ Doch am Horn von Afrika ist das wohl fraglich. Äthiopien hat mit den Massendeportationen vollendete Tatsachen geschaffen, und Eritrea hat sich darauf eingestellt. „Die eritreische Regierung hat schon Land ausgesucht und plant, die aus dem Tigray vertriebenen Bauern permanent anzusiedeln“, berichtet Rüdiger Ehrler, Mitarbeiter der Deutschen Welthungerhilfe, die den Vertriebenen mit Nahrungsmitteln, Zelten und Decken hilft.

Obwohl die Tigreer und die dominante Bevölkerungsgruppe in Eritrea eine fast zweitausendjährige gemeinsame Geschichte sowie eine gemeinsame Sprache und Kultur verbinden, gibt es tiefe Ressentiments zwischen beiden. Vor allem seit der italienischen Kolonisierung schauen die Eritreer herab auf ihre ärmeren äthiopischen Cousins, die ihnen im Gegenzug Hochmut vorwerfen. Selbst wenn irgendwann die Waffen schweigen, sieht es daher so aus, als würden die Spannungen zwischen Äthiopien und Eritrea bleiben, solange die beiden jetzigen Regierungen an der Macht sind. Peter Böhm

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