: Polizei-Posse um Att(rapp)entat
■ Polizei verschreckt Karstadt-Kunden, weil Sprengstoff-Spezialisten die Schlagkraft ihrer Waffen unterschätzen / Kaufhaus-Konzern beißt die Zähne zusammen und freut sich, dass nichts passiert ist
Am Tag danach hieß es noch: „ein hochempfindliches Explosivmittel“ hätten „Spezialkräfte“ der Polizei bei Karstadt entschärft, in dessen näherer Umgebung „unweigerlich Gefahr für Leib und Leben bestanden“ habe. Zum Glück verfügt die Bremer Polizei über so faszinierende Distanzwaffen wie ein Wassergewehr, mit dem derart gefährliche Artefakte unschädlich gemacht werden können, ohne Menschenleben zu gefährden.
Nach drei Tagen hörte sich alles ganz anders an: Im verdächtigen Umschlag, musste die Kripo nach Abschluss der Untersuchung korrigieren, befand sich keinerlei Sprengstoff. Es handelt sich „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ um eine Attrappe“. Die festgestellten „pyrotechnischen Rückstände“ stammen möglicherweise von liegengebliebenen Silvesterknallern. In das Corpus Delicti müssen sie wohl beim Auffegen durch die Spurensicherung gelangt sein...
Wie aber kam es bei der Entschärfung dann zu einer Explosion? Der Schuss aus dem Wassergewehr habe einen „ungewöhnlich lauten Knall“ verursacht. Daraus und aus dem „Splitterbild“ des Gegenstandes hätten die Beamten vor Ort auf einen gefährlichen Sprengsatz geschlossen und diese Spekulation vor der kriminaltechnischen Untersuchung bekanntgegeben, heißt es. Nun fand die Entschärfung in einer Einfahrt in der Pelzerstraße statt, deren Akustik einen besonderen Hall produziert. Ein lauterer Knall ist dort nichts Außergewöhnliches. Ob der Ort Erklärung genug ist, wäre leicht zu klären: Durch den Beschuss eines leeren Briefumschlages an gleicher Stelle. Ob so eine Gegenprobe stattgefunden hat, kann die Polizei „aus Sicherheitsgründen“ nicht mitteilen – „um zukünftigen Bombenbauern keine Anregungen zu geben“. Mit leeren Briefumschlägen.
Die Essener Karstadt-Konzernleitung äußert sich „verwundert“ über die Informationspolitik der Bremer Polizei. Geschäftsschädigend wollte Pressesprecher Michael Scheibe sie zwar nicht nennen, „aber es gibt natürlich andere Schlagzeilen, mit denen man besser dasteht.“ Umsatzzahlen der Tage nach dem Attrappen-Attentat sind von Karstadt derzeit nicht zu erhalten. Bei Karstadt ist man um Zurückhaltung bemüht. Im Wesentlichen sei der Konzern „überglücklich“, dass alles gut ausgegangen ist. not
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen