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Die jüdische Gemeinschaft auf dem Weg in die Berliner RepublikSehnsucht nach Normalität

Die Sehnsucht der jüngeren jüdischen Generationen nach Normalität, nach einem unbefangenen Alltag in Deutschland wächst. Für sie gilt die Bundesrepubik als Lebensmittelpunkt, auch wenn man in diesem Zusammenhang von Heimat (noch) nicht sprechen mag. Deshalb macht es Sinn, dass beide Kandidaten für das Amt des Vorsitzenden des Zentralrats, Charlotte Knobloch und Paul Spiegel, „child survivors“ sind und aus in Deutschland tief verwurzelten Familien stammen.

Die jüdische Minderheit in Deutschland fungierte seit Kriegsende stets als Teil der symbolischen Ausstattung des Staates. Nach langen Jahren der Repräsentation durch den CDU-nahen Werner Nachmann, den Freund Filbingers und Kohls, nach der zweiten Amtsperiode des gänzlich unabhängigen Heinz Galinski geriet das in der Wirtschaftspolitik rechts-, in der Bürgerrechtspolitik hingegen sozialliberale FDP-Mitglied Ignatz Bubis zur jüdischen Ikone. Paul Spiegel, vor Jahren Pressesprecher des Rheinischen Giro- und Sparkassenverbands, steht – der politischen Wetterlage entsprechend – für eine größere Nähe zu den Sozialdemokraten.

Die Zeichen stehen somit auf behutsame, nicht zu weit gehende Reformen. Feministinnen und Feministen mögen bedauern, dass die ebenso kantige wie lebhafte Frau Knobloch unterlag. Allerdings: Entgegen dem Anschein größerer Liberalität ist es Frau Knobloch in München nicht gelungen, die Spaltung ihrer Gemeinde zu verhindern. Mit einer viele hundert Personen zählenden, dynamischen liberalen Austrittsgemeinde wird dort vorexerziert, wohin die jüdische Gemeinschaft treiben kann, wenn nicht deutliche Integrationsanstrengungen auch im religiösen Bereich gewagt werden. Charlotte Knobloch hat es nie gewagt, den Erpressungen einer mit Austritt drohenden Gruppe von Ultraorthodoxen Paroli zu bieten.Wem in der eigenen Gemeinde die Integration misslingt, kann sie nicht glaubwürdig für den ganzen Zentralrat verkörpern.

Auf Paul Spiegel kommt gleichwohl eine erhebliche Verantwortung zu. Übergangszeiten, in den Geschichtsbüchern gern vernachlässigt, sind in Wahrheit Zeiten der Gründung. Im Übergang von der Bonner zur Berliner Republik wird sich auch an dem Rheinländer entscheiden, ob die Juden in Deutschland zu einem lebendigen Bestandteil der multikulturellen deutschen Nation werden oder als Teil der Erinnerungskultur verbleiben. Micha Brumlik

Publizist und Mitglied der Grünen in Frankfurt

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