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Die Birne, das Schamhaar und die Sinnfrage ■ Von Matthias Spielkamp
Was macht noch Sinn in dieser Zeit? Diese Frage ist keineswegs unverfänglich. Im Gegenteil.
Erste Hinweise auf die Bedeutsamkeit der damit verbundenen Auseinandersetzung kann die Analyse neuester Beiträge der Kinowerbung erbringen. Z. B. sieht man dort zwei Zigarette rauchende Bauchnäbel, die sich über Brustbehaarung unterhalten, die – durch eine bemerkenswerte schauspielerische Leistung – von einer Schambehaarung dargestellt wird. „Muss denn alles Sinn machen?“, ist die Grundfrage, die diese Werbung explizit dem Publikum zur Diskussion resp. zur gedanklichen Nachbearbeitung stellt. Anschließend sieht man zwei poppende Birnen auf einem Eisbärenfell.
Muss denn alles Sinn machen? Wem ist denn bitte schon gewahr geworden, dass es sich bei dem Ausdruck „Sinn machen“ um einen Anglizismus handelt? „It makes sense“, sagt der Angelsachse, was im Deutschen damit übersetzt wird, dass etwas „Sinn ergibt“ oder „Sinn hat“. Womit wir bei des Pudels Kern wären. Denn hier offenbaren sich Differenzen, die die Unzulänglichkeit einer hingerotzten Translation in ihrer Bedeutung in den Schatten stellen.
Was bedeutet es etwa für die Volksseele der Bewohner englischsprachiger Länder, dass bei ihnen Sinn gemacht wird? Was für uns Deutsche, dass sich Sinn immer nur „ergibt“, wie von einer höheren Macht geleitet, bzw. Dinge einen Sinn bereits „haben“, gespendet von – ja, wovon eigentlich? „Sinn ist das durch Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff strukturierte Woraufhin des Entwurfs, aus dem her etwas als etwas verständlich wird“, lautete noch die in ihrer Simplizität schillernde Definition Martin Heideggers. Doch wo stehen wir heute? Kann nicht davon ausgegangen werden, dass die englische Sprache bereits die Postmoderne vor deren Entstehung vorweggenommen hat? Der Sinn verdankt sich den Zwangsstrukturen des Signifikanten, erkannte Foucault, doch was nützte ihm das? Die englische Sprache wusste es ohnehin schon, der Deutsche verlässt sich lieber auf die Spende, sei sie von Gott kommend oder, säkularisiert, von höchster staatlicher Stelle, sagen wir: Helmut Kohl. Oder an ihn, aber das ist wieder eine andere Geschichte.
Dass aber Geschichte gemacht wird, wussten schon Extrabreit, glaubten allerdings vorpostmodern naiv noch daran, dass es voran geht. Sei’s drum. Nun setzt sich in der deutschen Sprache immer mehr die Erkenntnis durch, dass nicht nur Geschichte, sondern auch Sinn gemacht wird. Was sind die Schlüsse, die sinnvollerweise daraus gezogen werden müssen?
Muss denn immer alles Sinn machen? – rücken wir die Ausgangsfrage noch einmal in den Vordergrund. Dieser Text z. B.? Oder kann es etwas geben, das Sinn hat, ohne ihn gleichzeitig zu machen? Oder das Sinn macht, ohne ihn bereits zu haben? Oder hieße das, Äpfel mit Birnen zu vergleichen? Und wie verhält es sich überhaupt grundsätzlich mit der Sinnhaftigkeit von Kinowerbung? Noch sind diese Fragen nicht geklärt. Daher verlassen wir uns bis auf weiteres auf den Volksmund, der uns bereits in der Vergangenheit bei der Klärung von Sinnfragen zuverlässige Dienste geleistet hat. So auch hier. Er besagt, dass Birnen die besseren Äpfel sind. Zu Schamhaaren, die sich als Brusthaare ausgeben, sagt er nichts.
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