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Jetzt wird Kanonenfutter gebraucht

In Äthiopiens Süden, wo sich weitab von den Augen der Weltöffentlichkeit eine neue schwere Hungersnot ausbreitet, mobilisiert die Regierung massenweise Rekruten für eine neue Kriegsrunde gegen Eritrea ■ Aus Zeway Wolde Smit

Ungewohnte schwarzafrikanische Rhythmen, der Klang heller und dunkler Trommeln und ein rhythmischer, leidenschaftlicher Gesang verändern die Atmosphäre der sonst so ruhigen Staubstraße vor der zentralen Busstation der südäthiopischen Stadt Zeway im Rift Valley. „Baari Snaak“ steht in der lokalen Oromo-Sprache auf der Vorderseite der Snack-Bar und darüber gleich nochmal „Frühstückshaus“ in der uralten abessinischen Schrift des tradtionellen äthiopischen Herrschervolkes der Amharen. Aufgereiht wie zum Gänsemarsch, stehen vor dem Café lange, sehr schwarze, zum Teil in nur ein Tuch gehüllte Gestalten und warten auf Essen und Befehle. Sie sind die Sensation des Viertels. „Schanqella!“ flüstert einer der still im Staub stehenden Schaulustigen.

Übersetzt wird das mit dem freundlicheren Wort „Beni Schangul“ – Schanqella heißt soviel wie „Neger“. Die Beni Schangul sind ein vor rund einhundert Jahren von den Äthiopiern unterworfenes Volk an der sudanesischen Grenze, deren Mitgliedern Gehorsam und Arbeitseinsatz nachgesagt wurde und die aus diesem Grund noch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein als Sklaven der abessinischen Kriegerfamilien beliebt waren.

Nun geht es wieder um Krieg. Am Vormittag waren mehrere Busse die Rift-Valley-Straße entlang gekommen mit den etwa einhundert jungen Männern, die keine der Sprachen des Ortes sprechen. Begleitet sind sie von Militärtrainern. Stolz, im Bewusstsein ihrer neuen Rolle als Krieger im Sold des äthiopischen Staates, gehen sie Arm in Arm in kleinen Gruppen zwischen der Bar und den Bussen die staubige Straße entlang. Einige von ihnen halten sich eng umarmt und stehen ruhig und schauen. In wenigen Metern Abstand stehen Einwohner von Zeway, Hand in Hand, und schauen zurück.

Keiner weiß in Wirklichkeit, woher genau diese ungewöhnlichen Gestalten mit ihrer alle abessinischen Regeln brechenden Musik kommen. Äthiopien ist groß seit der Niederwerfung der Südvölker vor hundert Jahren.

Weit südlich der Stadt Zeway, in den fruchtbaren Tälern des Richtung Kenia führenden Omo-Flusses, leben von der äthiopischen Politik bisher nur wenig berührte Völker. Doch nun ist Krieg und sie werden gebraucht. Äthiopien rüstet sich für eine neue Runde im Kampf gegen Eritrea, der im Mai 1998 begann und in dem jetzt seit vier Monaten Ruhe herrscht. Ein Europäer mit ungewöhnlich guten Beziehungen zur Regierung sagt, Ministerpräsident Meles Zenawi hätte einen genauen Plan: Vor den Parlamentswahlen im Mai 2000 brauche er einen Erfolg – mit militärischen Mitteln. Der islamische Fastenmonat Ramadan und das von der koptischen Kirche Äthiopiens zelebrierte Weihnachtsfest sind soeben zu Ende gegangen. Jetzt kann es also wieder losgehen. Und es wird neues Kanonenfutter gebraucht.

Gleichzeitig bedroht erstmals in der Geschichte der südäthiopischen Völker eine Hungersnot Millionen von ihnen. Experten an der Universität Addis Abeba sprechen von sieben Millionen und beklagen sich über das lange Zeit hartnäckige Schweigen der Reformregierung von Ministerpräsident Meles Zenawi, die lieber Erfolgsmeldungen über den steigenden Export von Getreide verbreitete als Katastrophennachrichten.

Angehörige der äthiopischen Armee, einige von ihnen im Zuge der letzten großen Hungersnot der 80er Jahre von dem Militärdiktator Mengistu Haile Mariam aus dem Norden in den Süden umgesiedelt und nach Mengistus Sturz 1991 in ihre Heimat zurückgekehrt, reisen nun wieder in diese Gebiete, deren Sprachen sie damals gelernt hatten. Aber sie kommen nicht, um Hilfe zu leisten. Seit Monaten werden über Radio Parolen verbreitet: „Befreit Badme von den eritreischen Aggressoren!“ „Verteidigt Äthiopien!“

Nun schwärmen also die Werber aus und kommen bis in die kaum erschlossenen Regionen Südäthiopiens – mit viel Geld. Den jungen Männern werden monatlich 400 Birr geboten, umgerechnet 100 Mark, wenn sie sich als Rekruten zur Armee melden. Dies ist eine stolze Summe – vor allem bei den Völkern des Omo-Flusses, deren Wirtschaft noch weitgehend vom Naturalientausch geprägt ist. Bisher war Rekruten 170 Birr gezahlt worden – schon dies eine stattliche Summe, mit der Familienangehörigen mitversorgt werden konnten.

Die Hungersnot, die nun die Hamar, Arbore und viele andere der 60 Völker Äthiopiens bedroht, ist ein Ergebnis jahrzehntelangen Raubbaus des Südens. Der äthiopische Kaiser Menelik hatte im ausgehenden 19. Jahrhundert nach Hungersnöten und verheerenden Kriegen im Norden riesige, fruchtbare Gebiete im Süden in sein Reich eingegliedert und dessen Fläche damit verdreifacht. Der Süden war eine scheinbar unerschöpfliche Kornkammer. Doch nun ist sie erschöpft.

Über das Ausmaß des Hungers gibt es in Zeway nur Gerüchte. Zu entlegen sind diese Gebiete, in die niemand reist, doch aus denen kein Getreide mehr kommt. Die Menschen bleiben in ihren Dörfern und sterben dort.

Anders als bei der großen Hungersnot der 80er Jahre ziehen keine Elendszüge aus dem Land in Städte und Lager – Elendszüge, die der Norden seit Generationen kennt und die meist politische Umstürze zur Folge hatten. Kaiser Menelik erlangte 1889 in der Folge einer großen Hungersnot die Macht, Kaiser Haile Selassie verlor sie 1974 nach einer Hungersnot, und ohne die weltweit bekanntgewordenen Hungersnöte der 80er Jahre hätte Mengistu nicht so schnell alles verloren.

Doch im Süden weiß man nichts davon. Man wartet.

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