: Köpfe in Urnen
Ob Beckett noch zu retten ist? Englisches Theater bei den „Friends of Italian Opera“
Die Nachricht, dass sich in Berlin ein neues freies Theater gegründet hat, reißt einen in Zeiten, wo praktisch jedes Theater plötzlich wie eine Neugründung daherkommt, nicht unbedingt vom Hocker. Die „Ivy Theatre Company“, so heißt die Neugründung, spielt allerdings in englischer Sprache – und das ist ja in Berlin, wo eine große Ausstellung über die Geschichte der Stadt „The Story of Berlin“ heißt, man in vielen Museen und sonstigen Attraktionen englische Beschreibungen aber vergebens sucht, durchaus ein Fortschritt.
Unterschlupf fand die Truppe um den britischen Schauspieler Ian T. Dickinson bei den Kreuzberger „Friends of Italian Opera“, wo man sich schon seit Jahren um Dramatik in englischer Sprache verdient macht. Nun gab es dort die erste Eigenproduktion zu besichtigen: „Beckett x 2“, zwei kurze und so gut wie nie gespielte Stücke von Samuel Beckett, der ja im Moment so etwas wie ein vergessener Autor ist.
Beim Wiedersehen mit Beckett beschleicht einen dann aber schnell das Gefühl, in einem Beckett-Mausoleum gelandet zu sein, wo Beckett nicht gespielt, sondern museal bebildert wird. Drei manns- bzw. fraunshohe Urnen leuchten im Dunkel, das von Christian Messer mit menschlichen Seufzern und sphärischen Klängen existenzialistisch aufgeladen wird. Aus jeder Urne schaut ein Kopf heraus: Ehefrau (Priscilla Be), Ehemann (Ian T. Dickinson) und Geliebte (Megan Gay) erzählen ihre Dreiecksgeschichte. Ferngesteuert vom Licht eines Scheinwerfers, der aus einem schwarzen Kasten gegenüber wie eine unsichtbare Waffe auf sie gerichtet ist. Ihre Geschichte ist so belanglos und absurd wie der Rummel um Frau Zindler und ihren Maschendrahtzaun, ein Beckettstoff aus unseren Tagen. Und jetzt, wo einem beim Schreiben aufgeht, dass die Becketts von heute bei Sat.1 und RTL sitzen, wünscht man sich einmal mehr eine zeitgemäßere Spielweise, als sie die „Ivy Theatre Company“ zu bieten hat. Denn Becketts Stoffe reichen in die Gegenwart. Seine Spielanweisungen indes sind längst überholt und dringend revisionsbedürftig. Sonst reißen sie Beckett mit ins Theatermuseum – und da hat er keine Überlebenschance.
Wie scharf an der Medienrealität von heute Becketts Stücke sein können, ist auch bei „Catastrophe“ zu spüren, mit dem der gut einstündige Abend beginnt. Zu spüren, wohlgemerkt, nicht zu sehen. Ein Regisseur arbeitet am Schlussbild einer Theateraufführung, die offensichtlich den Titel „Catastrophe“ hat. Auf einem Podest steht eine elende Gestalt (Gay). Von einem Regisseur mit Zigarre und schickem Kamelhaarmantel (Dickinson) und seiner weiß bekittelten Assistentin (Be) wird sie nun für die Szene auf Wirkung zugerichtet. Ein Stück Fleisch, keine Schauspielerin, eine dressierte Gefangene. Christina Tappe, die Regisseurin des Abends, lässt ihre Schauspieler überzogen agieren, was völlig unnötig ist und die Schauspieler ihrerseits zu Karikaturen abrichtet. Und dem Text, den Beckett 1982 für Václav Havel schrieb, einen unnötigen säuerlichen Humor unterschiebt.
Esther Slevogt Bis 30. Januar tgl. außer dienstags, 20 Uhr, Friends of Italian Opera, Fidicinstr. 40
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