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US-Mediziner fordern: Aus Fehlern lernen

Behandlungsfehler gehören in den USA zu den häufigsten Todesursachen

Der amerikanische Kongress hat das National Health Center beauftragt, das Ausmaß medizinischer Behandlungsfehler zu untersuchen. Das kürzlich veröffentlichte Ergebnis ist niederschmetternd: Der durch medizinisches Versagen verschuldete Tod befindet sich, eine vorsichtige Schätzung zu Grunde legend, auf Platz acht der häufigsten Todesursachen – noch vor Straßenverkehrsunfällen, Brustkebs und Aids. Da oftmals nur sehr schwer ein kausaler Zusammenhang zwischen Behandlung und Tod hergestellt werden kann, schwankt die geschätzte Anzahl der Todesopfer zwischen 44.000 und 98.000.

Das Spektrum der Behandlungsfehler ist laut der Studie breit gefächert. So kann es etwa in einem Krankenhaus am Ende einer geschäftigen Nachtschicht zu einem folgenschweren Irrtum kommen, wenn ein Arzt einer Schwester den Namen eines Medikaments missverständlich übermittelt.

Sofern ein Patient von mehreren Ärzten behandelt wird, mangelt es zuweilen einem Arzt über das notwendige Wissen, ob ein Kollege eine andere Krankheit behandelt. In der Folge ist es dann möglich, dass der Patient eine gefährliche Mixtur von Medikamenten zu sich nimmt. Dies ist ein Beispiel dafür, dass auch Patienten Mitschuld an einer falschen Behandlung tragen können: wenn sie Informationen nicht weitergeben.

Eine weitere Fehlerquelle ist die schlechte Handschrift mancher Ärzte. Gelegentlich entziffern Apotheker dann das Gekritzel falsch und überreichen dem Patienten nicht das verschriebene Medikament, sondern nur ein ähnlich klingendes; fatalerweise kann es sich dabei um ein tödlich wirkendes Präparat handeln, wenn der Patient darauf allergisch reagiert.

Eines geht aus der Untersuchung auch ganz deutlich hervor: dass nämlich der Alptraum eines jeden Patienten nach dem Schema „Chirurg operiert falsches Kniegelenk“ die Ausnahme darstellt; vielmehr treten Fehler gehäuft dann auf, wenn in die Behandlung viele Menschen einbezogen sind. In den USA liegt die Ursache des Übels darin, dass in einem immer komplexer werdenden Gesundheitssystem versäumt wurde, die Wege des Informationsaustauschs den veränderten Anforderungen anzupassen.

Die Untersuchungskomission hält das Sicherheitsbewusstsein im amerikanischen Gesundheitssystem für weit weniger ausgeprägt als in andern Wirtschaftszweigen, deren Bestreben nach Fehlervermeidung sich auch durch Zahlen belegen lässt: So nehmen etwa die tödlichen Arbeitsunfälle kontinuierlich ab. Zur baldigen Verbesserung schlägt die Komission daher zwei wesentliche Maßnahmen vor. Zum einen soll ein nationales Zentrum für Patientensicherheit errichtet werden, das alle in den USA bekannt gewordenen Berichte über Behandlungsfehler sammelt und auswertet. Die Rückschlüsse auf bestimmte Fehlerquellen führen dann zu geeigneten Schulungen für das medizinische Personal – oder aber zu einer strukturellen Änderung, wenn die Fehler auf organisatorischen Mängeln beruhen.

Zum andern empfiehlt die Komission einen rechtlichen Wandel. Bisher kann jeder Behandlungsfehler – ob er zu einem Schaden führt oder nicht – strafrechtlich verfolgt werden. In Zukunft sollten die folgenlosen Irrtümer nicht mehr justiziabel sein, so dass die Ärzte dazu ermuntert werden, einen eigenen Behandlungsfehler zu melden.

Würden die Empfehlungen umgesetzt, glaubt der Vorsitzende William Richardson, würden schon innerhalb der nächsten fünf Jahre die Anzahl der Todesfälle um die Hälfte zurückgehen; und amerikanisch-pragmatisch fügt er noch hinzu: „Es liegt in der Natur des Menschen, Fehler zu machen – aber es liegt auch in der Natur des Menschen, aus ihnen zu lernen.“

Gerhard Weinreich

Der Bericht des National Health Center ist im Internet abrufbar: www4.nas.edu/IOM/IOMHome.nsf

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