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Israels Religiöse entdecken den Golan

150.000 Menschen protestieren gegen einen Abzug von den Höhen. Doch die meisten Demonstranten leben nicht dort, sondern in Siedlungen im Westjordanland – einem anderen politischen Lager ■ Aus Tel Aviv Susanne Knaul

„Der Golan – das sind die Augen des Staates!“ und: „Der Zionismus wird siegen!“, skandierten am Montag Abend Gegner eines israelischen Abzugs von den Golanhöhen. Zwar kamen nicht wie angekündigt eine halbe Million Demonstranten auf den Jitzhak-Rabin-Platz in Tel Aviv, doch trotz Kälte und Nieselregen fanden sich immerhin 150.000 Menschen ein, um gegen territoriale Kompromisse mit Syrien zu protestieren. Zahlreiche Familien waren mit Kindern und Babywagen angereist, fast alle Frauen keusch in lange Röcke gekleidet und die Männer mit Kipa auf dem Kopf. Die wenigen weltlichen Kibbuzniks vom Golan gingen in der Menge der Religiösen unter. Die Kampagne gegen den Abzug stieß im national-religiösen Lager und vor allem bei den Siedlern im Westjordanland auf offene Ohren.

Avner und sein 17-jähriger Sohn sind Einwanderer aus den USA. Beide tragen eine Kipa. „Es wird sicher Krieg geben“, meint Avner, wenn die Golanhöhen zurückgegeben werden. „Und wie können wir uns dann verteidigen?“ Den US-Amerikanern sei doch „völlig egal“, was aus Israel werde. Sie sollten „ihr Geld behalten, wir behalten unseren Golan“.

Von der Bühne aus wird die Hysterie einzelner Demonstranten zusätzlich angestachelt: „Wer garantiert uns, dass nach Assad kein Chomeini kommt?“, fragt ein General der Reserve ins Mikrofon und erinnert daran, dass „es auch im Iran mal eine Israelische Botschaft gegeben hat“. Mit den Syrern und ihrem Präsidenten Hafis al-Assad sei kein Frieden zu machen, stattdessen warteten „100 Jahre Terror“ auf Israel.

Jahrelang hatten die Aktivisten auf dem Golan vor einer Zusammenarbeit mit den Siedlern im besetzten palästinensischen Land gezögert. Zum einen besteht für den Golan eine unterschiedliche Rechtslage: Die Bewohner sind unabhängig ihrer Glaubenszugehörigkeit berechtigt, die israelische Staatsbürgerschaft zu beantragen.Zum anderen kommen die Siedler im Westjordanland überwiegend aus dem rechten Lager, während die Golanbevölkerung stets mehrheitlich links wählte. Ziel der Golanaktivisten ist nun, eine möglichst breite Kampagne gegen den Abzug zu organisieren.

Rund 30 Mitglieder der Regierungskoalition Benjamin Netanjahus sitzen in Tel Aviv auf der Bühne, darunter zwei Minister, die auch nach der Wende wieder im Kabinett vertreten sind: Nathan Scharansky von der Immigrantenpartei Israel Be Aliya und Jitzhak Levy von der National-Religiösen Partei (NRP). Beide Listen stellen zusammen 11 von insgesamt 120 Parlamentariern. Unentschlossenheit in der Golanfrage besteht bei der dritten Koalitionspartei Schass, die 17 Mandate in der Knesset hält. Während der geistige Führer der Partei, Rabbi Ovadia Josef, einen Abzug befürwortet, kämpf der greise Mystiker und Kabbala-Gelehrte Rabbi Kadduri mit allen Mitteln dagegen.

Tatsächlich nimmt die Zahl der Israelis, die einen „fast kompletten Rückzug“ unterstützen, dramatisch ab. Entsprechend einer Anfang der Woche veröffentlichten Umfrage sank die Zahl von 59 Prozent im Dezember auf nur noch 49 Prozent in diesem Monat. Die Aktivisten gegen den Abzug sehen den Grund dafür in ihrer Kampagne, bei der hunderte freiwillige Helfer im ganzen Land Aufkleber verteilen und Plakate aufstellen. Die auflagenstärkste Tageszeitung Jediot Achronot (Letzte Nachrichten) vermutet indes, dass die bei den Verhandlungen demonstrierte syrische Unnachgiebigkeit als „Beweis für die tiefe Animosität gesehen wird“, die auch durch einen nahenden Frieden nicht umgehend verschwinden werde.

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