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Elitetruppe unter Beschuss

Russischer General wirft Soldaten bei Kämpfen in Tschetschenien „Weichherzigkeit“ vor. Gefechte dauern an. Alle Männer unter 60 Jahren sollen als Terroristen gelten

Moskau (AFP/taz) – Russland hat für seinen ausbleibenden Erfolg im Tschetschenienkrieg einen Sündenbock gefunden: Der Kommandeur der russischen Streitkräfte in Tschetschenien, General Viktor Kazanzew, hat jetzt die ihm unterstellten Elitetruppen des Innenministeriums für die jüngsten Rückschläge im Kaukasus verantwortlich gemacht. Die Soldaten müssten bei ihrem Vorgehen gegen die Rebellen härter durchgreifen, verlangte Kasanzew gestern.

Gleichzeitig warf er den Truppen „Weichherzigkeit“ vor. Die Truppen des Innenministeriums seien trügen die Schuld dafür, dass bei einem Gegenangriff tschetschenischer Kämpfer in Argun und Schali am Sonntag 26 Soldaten getötet worden seien. Sie seien „schlampig“ gewesen, hätten Fehler gemacht und die Häuser großer Familien nicht „gesäubert“. „Es war unser weiches Herz, unser Vertrauen, das sich meist auf nichts gründet“, das zu den Verlusten geführt habe. Ab heute würden nur Kinder bis zu zehn Jahren, Frauen und Alte ab 60 als Flüchtlinge gelten. Alle Männer würden überprüft. Seit dem Wochenende wurden in Tschetschenien nach offiziellen russischen Angaben mindestens 37 Russen getötet.

Zudem kündigte Kazanzew an, dass die „militärische Phase“ des Tschetschenien-Konflikts noch vor der Präsidentenwahl am 26. März beendet sei. Kasanzew zufolge eroberten die russischen Truppen die Städte Argun und Schali weitgehend zurück. Die Nachrichtenagentur Interfax meldete unter Berufung auf Augenzeugen, dass die Rebellen Schali verlassen hätten. Die Tschetschenen bestritten diese Darstellung.

Nach ihren Angaben kontrollierten sie weiterhin die wichtigsten Gebäude in Schali. Laut Rebellen waren auch der Bahnhof und das Polizeirevier in Argun weiter unter ihrer Kontrolle. Der russische Generalstab teilte ferner mit, die Luftwaffe habe in den vergangenen 24 Stunden mehr als 70 Angriffe gegen Stellungen der Rebellen geflogen. Ziel waren vor allem die Umgebung der Hauptstadt Grosny sowie die Berge im Süden der Kaukasusrepublik.

Ein Sprecher des tschetschenischen Präsidenten Aslan Maskhadow erklärte, Ziel der Rebellen sei es nicht mehr, Städte zurückzuerobern. Stattdessen seien sie zu einer Guerillataktik mit schnellen Angriffen und ebenso schnellem Zurückweichen übergegangen. Der tschetschenische Generalstabschef Momadi Saidajew bekräftigte, die Angriffe so lange fortzusetzen, bis die Russen Verhandlungen zustimmten. Gestern gaben die tschetschenischen Kämpfer ihre Hochburg Wedeno auf. Dies sei geschehen, um die Zivilbevölkerung zu schützen, sagte ein weiterer Rebellensprecher. Die russische Armee habe die Stadt am Montag und Dienstag verstärkt beschossen.

Unterdessen traf in Moskau Interimspräsident Wladimir Putin mit Verteidigungsminister Igor Sergejew und weiteren Verantwortlichen für den Krieg in Tschetschenien zusammen. Laut Sergejew wurden Möglichkeiten zur Stabilisierung der Lage beraten. Mehrere russische Zeitungen berichteten, die jüngsten Verluste der russischen Truppen markierten den Beginn einer schwierigen Phase für Moskau. Obwohl die Zahl der Soldaten im Kaukasus ständig erhöht werde, hätten sie Mühe, einen Sieg zu erzielen.

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