Universal Heimatfilm

Spiel mir das Lied von den Genre-Regeln: Der Spaghettiwestern ist amerikanischer als sein Vorbild und hat dem Horrorkino der 90er den Weg freigeschossen ■ Von Thomas Winkler

Wie sie auch heißen mögen – Italowestern hier zu Lande, Spaghettiwestern in den USA oder Maccaronis in Japan –, es geht doch immer um dasselbe: Der Mythos des amerikanischem Western wird zur Grundlage global verständlicher Heimatfilme. Nicht umsonst subsummieren die Amerikaner unter Spaghettiwestern auch die deutschen Lederstrumpf- und Winnetou-Verfilmungen von Harald Reinl und Konsorten.

In der Hochzeit des Genres von 1960 bis in die Mitte der 70er entstanden ungefähr 600 Filme in ganz Europa, die man als Spaghettiwestern bezeichnen könnte. Mit 13 Filmen in sieben Tagen kann ab heute in den Hackeschen Höfen ein Querschnitt gesichtet werden – vom stilprägenden Sergio Corbucci, der mit seinen mal zynischen, mal religiös überhöhten Gewaltopern gleich dreimal vertreten ist, bis zum Politfilmer Damiano Damiani, der damals nicht nur sein Handwerk lernte, sondern mit dem Revolutionswestern „Töte, Amigo“ gar ein Subgenre begründete.

Zentral aber natürlich auch in dieser Reihe: Sergio Leone drehte fünf Western, allesamt mittlerweile Klassiker und alle hier zu sehen, die Dollar-Trilogie ebenso wie die ultimative Genre-Arbeit „Spiel mir das Lied vom Tod“. („Mein Name ist Nobody“ ist eigentlich Leones sechster Western: Er konzipierte, produzierte und überwachte den Film, führte aber nicht Regie.)

Verständlicherweise findet sich in der Reihe nicht die reichlich vorhandene Dutzendware. Statt eines der unzähligen Django-Filme wurden lieber Absurditäten ausgewählt wie Enzo Castellaris sich größenwahnsinnig am eigenen Scheitern weidender „Keoma“: 1976 zuckte das Genre noch ein letztes Mal so lustvoll wie eine der Leichen, die Franco Nero in diesem Film in beeindruckender Zahl hinterlässt. Das Ende hatte schon lange zuvor, bereits 1969, seinen Anfang genommen: Es kam in der Gestalt von Bud Spencer und Terence Hill.

Eine Anekdote bringt Ursprung und Wesen des Spaghettiwestern auf den Punkt: Ende der 50er arbeitete Leone als Assistent von William Wyler am berühmten Quadrigenrennen aus „Ben Hur“. Mitten in den Dreharbeiten befiel Wyler der Wahn, eine Szene für seinen letzten Film, den in den USA gerade angelaufenen „Big Country“, nachzudrehen. Ihm hatte die Ausleuchtung des Gesichts von Charlton Heston, Hauptdarsteller in beiden Filmen, nicht gefallen. Also schmiss sich Heston in sein Cowboykostüm, und im Staub der antiken Arena in Rom wurde die Szene nachgedreht und dann jeweils in die bereits ausgegebenen Kopien eingesetzt.

Es war das erste Mal, dass Leone beim Dreh eines Western dabei war. Allzu viel dürfte er bei einer Einstellung nicht gelernt haben, aber einige Jahre später löste der Western die bis dahin in Italien vehement produzierten Gladiatoren- und Herkulesfilme ab, von denen auch Leone einige gedreht hatte. Der Sandalenfilm mag nie über das Trash-Niveau hinausgekommen sein, aber der Italowestern hat von ihm mindestens so viel gelernt wie von John Ford oder Howard Hawks. So ist das Bild des Wilden Westens, das heute durch unsere Köpfe spukt, viel stärker geprägt vom Italowestern als von den US-Klassikern des Genres.

Gar nicht erst möglich gewesen wäre die Wiederkehr des zu diesem Zeitpunkt gerade ziemlich toten Genres ohne die italienische Billigware. Künstlerisch bereitete sie Abgesänge auf das Genre wie Sam Peckinpahs „The Wild Bunch“ und Aufarbeitungen wie Arthur Penns „Little Big Man“ vor: So ist der einsame Held ohne alle sozialen Bindungen und moralischen Verpflichtungen eine Erfindung des Italiowestern. Das Monument Valley, wie es Ford immer wieder abgefilmt hat, ist für uns Europäer mittlerweile eine Urlaubserinnerung, während die karge Landschaft ums spanische Almeria für den Westen steht. Und die Musik? Nicht etwa Hillbilly oder Country, sondern das Pfeifen, Summen und die unwirklichen Frauenchöre von Ennio Morricone, der für neun der 13 Filme der Reihe die Musik komponierte.

Nicht nur die amerikanischen Spätwestern nutzten ausführlich die neuen Freiheiten, die der Spaghettiwestern geschaffen hatte. Vom Spielen mit Genre-Regeln über visuelle Experimente bis zu den Gewaltdarstellungen, die man damals exzessiv nannte, kann man alles wiederfinden im modernen Horrorfilm, im Action- oder im Hongkong-Kino. Von den beiden Sergios, von Leone und Corbucci, führt eine direkte Linie zu Martin Scorsese, Brian DePalma, John Woo, Quentin Tarantino oder Tim Burton. Mindestens dafür kann man ihnen ein wenig dankbar sein. Bis zum 19.1. in den Hackeschen Höfen, Rosenthalerstr.40/41. Freitag ab 23 Uhr Spaghetti-Western-Party mit DJ, Mitternachts-Spaghetti und freiem Eintritt