: Abgeordnetenkinder müssen draußen bleiben
Die Bundestagskita ist zwar längst nicht ausgelastet. Doch nicht mal Abgeordnete dürfen ihre Kids herbringen. Der 10-Millionen-Mark-Neubau ist nur für Verwaltungsmitarbeiter
Katherina Reiche ist Bundestagsabgeordnete. Und Mutter. „Gerade hat sie einen auswärtigen Termin. Sie sitzt im Flugzeug – mit ihrem Kind“, sagt Mitarbeiterin Kathrin Neef. Die 26-jährige Abgeordnete der CDU jettet mit Maria, gerade sechs Monate alt, von Ausschusssitzung zu Fraktionssitzung, betreut „den Sonnenschein“ (Neef) im Abgeordnetenbüro neben dem Schreibtisch im Laufstall. Gerne wollte Reiche ihre Tochter in die Obhut der Bundestagskita geben. Doch die winkte ab. Die Kita, in der gerade mal 48 Kinder von 11 Vollzeitkräften betreut werden, nimmt weder Kinder von Bundestagsabgeordneten noch aus der „normalen“ Bevölkerung auf. Nun kommt Maria in eine normale Kita in Mitte.
Nach den Statuten des Ältestenrates steht die angesichts nicht belegter Kitaplätze im Bezirk Mitte umstrittene Kindertagesstätte nur Mitarbeitern zur Verfügung. Ganz egal, ob sie in der Bundestagsverwaltung, bei Abgeordneten, den Fraktionen oder beim Bundesrat beschäftigt sind. Diese dürfen ihren Nachwuchs im für 10 Millionen Mark errichteten Kuppelbau neben dem Reichstag betreuen lassen. Die Abgeordneten selbst müssen ihre Kids anderweitig unterbringen. „Wenn wir mehr junge Frauen ins Parlament bekommen wollen, müssen wir auch für eine entsprechende Kinderbetreueung sorgen“, springt SPD-Fraktionsvize Ulla Schmidt ihrer Kollegin bei.
Doch Kitaleitung und Bundestagsverwaltung wollen für alle Eventualitäten Plätze freihalten: „Schließlich ziehen noch im nächsten Jahr Mitarbeiter der Verwaltung um“, sagte eine Sprecherin des Bundestages. Für Februar lägen 5 Neuanmeldungen vor, bis zum Sommer hoffe man auf weitere Anmeldungen. Der Kitabau ist allerdings für 176 Kinder konzipiert. Für eine Auslastung müssten also noch einige Bonner Eltern ihre Kinder in der Bundestagskita anmelden.
Auch seitens der Bundestagspressestelle wird nun eingeräumt, dass der Betreuungsschlüssel im Moment sehr günstig ist. Normalerweise werden in Berlin für Kindergartengruppen ab 4 Jahren maximal 15 Kinder je Gruppe und 1,5 Erzieher gerechnet. In der Parlamentskita kommen zur Zeit fast 4 Betreuer auf 15 Kinder
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Günter Nooke mit Wahlkreis in Mitte kann die Vorratshaltung der Bundestagsverwaltung gar nicht verstehen. An Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), der zudem sein Wahlkreiskollege ist, schrieb er einen Brief. Es sei auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht dringend geboten, die nicht voll ausgelastete Kita zu füllen, formulierte Nooke: „Hier hört man den Amtsschimmel wiehern.“
Im Gespräch mit der taz fügte Nooke an: „Wenn Plätze frei sind, sollen sie für alle geöffnet werden. Für Bundestagsabgeordnete wie für die Krankenschwester aus Mitte.“ Erst würden die Bundestagsabgeordneten gescholten, dass sie für 10 Millionen Mark eine Kita bauen lassen, und nun werden sie mit Hohn und Spott bedacht, weil sie sie gar nicht benutzen dürfen. Nooke ist sich sicher, dass derartige bürokratische Scharmützel nicht gerade zu einer Verbesserung des Klimas zwischen Parlament und Bevölkerung am neuen Regierungssitz beitragen werden.
Annette Rollmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen