Feuer und Schwert gegen die Titanic

In Osteuropa proben die Filmindustrien den Aufstand gegen die amerikanische Hegemonie. Die neuen Geschichtsspektakel und Familienepen sind groß, teuer und national ■ Von Barbara Schweizerhof

Mit dem Untergang des real existierenden Sozialismus brach auch für die osteuropäische Kinolandschaft eine neue Ära an – der Siegeszug der Mythen Hollywoods schien nicht mehr aufzuhalten, die nationalen Filmkulturen waren vom Aussterben bedroht. Doch nun, zehn Jahre nach Beendigung des Kalten Krieges, begehren die Kinematographen Osteuropas auf: mit Großproduktionen wie Nikita Michalkovs „Barbier von Sibirien“, mit üppigen Literaturverfilmungen wie Jerzy Hoffmanns „Mit Feuer und Schwert“ und Andrzej Wajdas „Pan Tadeusz“, mit Familienepen wie István Szabós „Ein Hauch von Sonnenschein“.

Als erste Boten dieser womöglich neuen Welle wurden im vergangenen Jahr in Polen „Mit Feuer und Schwert“ und in Russland der „Barbier von Sibirien“ als wahre Schlachtrösser im Kampf um kulturelle Hegemonie gehandelt. Beides Filmerzählungen von epischer Länge, sollten sie auf ihren heimischen Märkten „Titanic“ die Stirn bieten und den Zuschauer wieder für die eigene Kinolandschaft gewinnen.

„Mit Feuer und Schwert“ war ein in Polen längst erwarteter Film, hatte doch Regisseur Jerzy Hoffmann den zweiten und dritten Teil der gleichnamigen Trilogie des Autors Henryk Sienkiewicz („Quo vadis“) bereits vor über 25 Jahren verfilmt. Aus Gründen politischer Rücksichtnahme musste so lange gewartet werden: Die Literaturvorlage gilt als Ukraine-feindlich und war Streitobjekt innerhalb des Warschauer Paktes.

Man erzählt sich, der Altmeister der sowjetischen Großproduktionen, Sergej Bondartschuk, habe deshalb eine Verfilmung der als Polen-feindlich geltenden Novelle Gogols, „Taras Bulba“, unterlassen. „Wenn ihr ,Taras Bulba‘ verfilmt, dann drehen wir ,Mit Feuer und Schwert‘ “, sei stets die Drohung von polnischer Seite gewesen.

So gab man sich denn jetzt die größte Mühe, bei diesem im polnisch-litauischen Reich des 17. Jahrhunderts spielenden Historienspektakel die Guten und die Bösen auf beide Seiten einigermaßen gleichmäßig zu verteilen.

Das pittoreske Schlachtengetümmel des Aufstandes ukrainischer Kosaken gegen die polnische Krone, das den dramatischen Stoff für „Mit Feuer und Schwert“ abgibt, bietet auf den ersten Blick genau die bewährte Mischung aus drastischer Gewalt und humorigen Sprüchen, auf die auch Luc Besson in seiner Jeanne-d’Arc-Version zurückgreift. Europaweit identische Blockbuster-Philosophie?

Nicht ganz. Im polnischen Spektakel gehen amerikanische Erfolgsrezepte eine seltsame Allianz mit Volkstümelei ein. In diesem Dreiecksmelodram treten zwei nationale Stereotypen in Wettstreit. Das aristokratisch Ritterliche als das polnische Ideal behält gegenüber der im ukrainischen Kosaken Bohun verkörperten Zügellosigkeit, jenem freiheitlich-romantischen Ideal, natürlich letztlich die Oberhand – beides wird filmisch jedoch gleichermaßen verklärt. So schöpft „Mit Feuer und Schwert“ aus dem Inventar osteuropäischer Klischees und scheint damit ein ganz wesentliches Bedürfnis nach Filmen mit eigenen, also betont nicht aus Hollywood importierten Stoffen zu erfüllen.

Fast acht Millionen Menschen sahen letztes Jahr in Polen diesen Film, fast doppelt so viele wie „Titanic“. Und Andrzej Wajdas Literaturverfilmung nach Adam Mickiewicz Roman „Pan Tadeusz“, die in Polen seit Oktober in den Kinos läuft, hat bereits drei Millionen Zuschauer. In diesen mit Stolz verkündeten Zahlen kommt eine Art nationaler Siegestaumel gegen den ideologisch altgedienten amerikanischen Kulturimperialismus zum Vorschein, der die anderen Nationen beständig ihrer eigenen (Kino-)Erzählungen beraubt.

Den Russen ihr eigenes Kino zurückzugeben war auch klar die Aufgabe, die sich Nikita Michalkov mit seinem „Barbier von Sibirien“ gesetzt hat. Auch hier ist der erklärte Feind das amerikanische Kino, aber leider hat es der „Barbier“ bei den Zuschauereinnahmen in Russland nicht ganz geschafft: Nur Platz drei hinter „Titanic“ und „Star Wars“. Für Michalkov stand von vornherein fest, dass sein Film ein nationales Ereignis werden würde. Als solches wurde es projektiert und nach westlichen Marketingstrategien durchgezogen, die da lauten: Für Großprojekte wirbt man am besten mit ihrer Größe – 45 Millionen Dollar, ein Fünftel des „Titanic“-Budgets! Der teuerste russische Film aller Zeiten! Als Nächstes kamen Event-Planung (Premiere im Kreml!) und Merchandising: Zigarren, Zigaretten, Wodka und Halstücher zum Film. Und als besondere Note: eine Parfümmarke mit dem männlich-markanten Duft von Michalkovs eigenem Schnurrbart, lautet doch die wörtliche Übersetzung der russischen Redeweise für „Selbst ist der Mann“: „Wir haben selber Schnurrbärte“. Der Film wurde als politisches Programm gelesen und Michalkov eine ganze Zeit lang ernsthaft als Präsidentschaftskandidat gehandelt.

Noch deutlicher als „Feuer und Schwert“ ist der „Barbier von Sibirien“ eine Erzählung über nationale Eigenheiten, der Versuch einer Mythenbildung. Michalkov setzt seine Liebesgeschichte in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und zeigt nicht ohne Ironie ein Russland im glücklichen Zustand der Unschuld, bevor Revolution, Industrialisierung und Weltkrieg ihre hässlichen Spuren hinterließen. Gefeiert wird hier die Unberechenbarkeit und Rätselhaftigkeit des russischen Charakters in seinen skurrilen Ausmaßen (der General isst beim fünften Glas Wodka gleich das Glas mit) inklusive der als „russische Seele“ berüchtigten emphatischen Gefühligkeit.

Mit dem so demonstrierten Hang zum Größenwahn erfasst Michalkov einen Trend: Man will sich vom Westen nichts mehr vorschreiben lassen. Weder die Regeln der Filmgenres noch die der Demokratie. Als Antwort auf die Frage, warum er sich gerade diesen historischen Hintergrund ausgesucht habe, meinte der für seine Affinität zur Staatsmacht bekannte Regisseur scheinheilig: „Weil Russland zu dieser Zeit keinen Krieg führte.“ Dafür nimmt er mit seinem Film den Kampf mit der amerikanischen Kulturdominanz gleich auf zwei Ebenen auf: zum einen auf der handwerklichen (Melos à la Hollywood, das können wir auch) und zum anderen auf der ideologischen: amerikanischer und russischer Nationalcharakter werden betont holzschnittartig gegeneinander gehalten. Das Motto des Films lautet stolz: „Er ist Russe. Das erklärt so manches.“

Solche Klischees versucht István Szabó in seinem ebenfalls dreistündigen Familienepos „Ein Hauch von Sonnenschein“ (deutscher Kinostart: 27. Januar) tunlichst zu vermeiden. Über einen Zeitraum von fast hundert Jahren verfolgt er die Geschichte einer jüdisch-ungarischen Familie in drei Generationen. Und verknüpft dabei die private Erfahrung von Großvater, Sohn und Enkel mit exemplarischen Ereignissen ungarischer Geschichte im Kaiserreich, der Zwischenkriegszeit und dem Kommunismus. Dabei kommt Ungarn als Fechtnation mit dem Olympiasieg von 1936 ganz groß heraus.

Gedreht wurde an ungarischen Originalschauplätzen, und laut Werbung sind auch die Produzenten, der Regisseur, der Buchautor und der Kameramann waschechte Magyaren. Nach Szabós eigener Aussage geht es in „Ein Hauch von Sonnenschein“ darum, dass man seine Wurzeln niemals vergessen könne.

Besetzung und Budget jedoch gehorchen eher Hollywood-Maßstäben, Ralph Fiennes spielt die männliche Hauptrolle in allen drei Zeitabschnitten (mal mit, mal ohne Bart), und die Sprache des Films ist selbstverständlich Englisch. Nicht nur auf der Ebene der Dialoge. Auch mit seinen glatten Erzählmustern erinnert „Ein Hauch von Sonnenschein“ trotz der ungarischen Thematik eher an eine amerikanische Familiensaga.

So ist Szabós ausufernder, rührseliger Film zwar nicht die plumpe und polemische Kampfansage ans große amerikanische Vorbild, letztlich aber gibt er das Terrain für eine Auseinandersetzung mit den Schwierigkeiten einer nationalen Identität wieder preis, indem er sich in seiner Ästhetik ganz an Hollywood ausrichtet. Ob nationale Themen und Geschichten oder nicht – solange es im osteuropäischen Kino vor allem darum geht, den Amerikanern mit amerikanischen Mitteln die Stirn zu bieten, wird Hollywood weiterhin das Sagen haben.