: Showdown der Kommunistenfresser
Der Streit am Dresdner Hannah-Arendt-Institut ist eskaliert. Nun entscheidet sich, ob der NS-Forscher Saul Friedländer das Institut für Totalitarismusforschung verlässt. Im Hintergrund steht ein Streit Wissenschaft kontra Geschichtspolitik ■ Von Thekla Dannenberg
Der große Krach war überfällig. Am Hannah-Arendt-Institut brechen sich seit Jahren schwelende Konflikte nun mit Vehemenz Bahn. Es vergeht kein Tag, ohne dass die Dresdner Totalitarismusforscher sich gegenseitig mit Beschimpfungen, Verdächtigungen, Entlassungsforderungen und Ultimaten überziehen. Das Institut befindet sich in seiner schwersten Krise.
Vordergründig läuft ein personeller Konflikt zwischen Institutsdirektor Klaus-Dietmar Henke und dem wissenschaftlichen Beirat auf der einen Seite und dem stellvertretenden Institutsdirektor Uwe Backes auf der anderen. Dahinter aber steht ein langer Streit um das wissenschaftliche Selbstverständnis des Instituts – und um seine Unabhängigkeit von der sächsischen CDU-Regierung. Es ist ein Lehrstück darüber, wie schwer sich wissenschaftliche Standards gegen Geschichtspolitik durchsetzen lassen.
Der renommierte Holocaustforscher Saul Friedländer, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat, hat ultimativ erklärt, er ziehe sich zurück, wenn Backes nicht entlassen werde. Das Ultimatum läuft heute ab. Die Beteiligten haben sich in den vergangenen Tagen Stillschweigen auferlegt. Am Wochenende soll sich die „Krise auflösen“, wie es aus dem Institut heißt.
Die sächsische Landesregierung hatte wenig getan, um das Renommee des Instituts, das eng mit den Namen Henke und Friedländer verbunden ist, zu wahren. Das Land Sachsen hatte das Institut für Totalitarismusforschung 1993 ins Leben gerufen, vor allem auf Betreiben des konservativen Kultusministers Matthias Rößler. Mit einem von CDU-Politikern beherrschtem Kuratorium funktionierte das Institut in seinen Anfangsjahren als landeseigene „Kommunistenfress-Maschine“ (Frankfurter Rundschau). Wissenschaftliche Reputation konnte es sich mit seinen totalitaristischen Theorien nicht erwerben.
Erst die Berufung des früheren wissenschaftlichen Leiters der Gauck-Behörde, Klaus-Dietmar Henke, zum neuen Direktor versprach ab 1997 das Renommee des Instituts zu erhöhen und dessen Arbeit politikferner zu gestalten. Satzungswidrig bestand jedoch Kultusminister Rößler auf einem zweiten Stellvertreter für den Sozialdemokraten Henke: Uwe Backes, der wissenschaftlich als seriös, aber auch als geschichtspolitischer Eiferer gilt.
In der Folge verhalf Henke dem Institut zu neuem Ansehen. Er gewann für das Institut den Forschungsauftrag der Dresdner Bank, ihre NS-Vergangenheit zu untersuchen. Der Auftrag bringt seitdem nicht nur Geld, sondern auch Prestige. Doch die Arbeit des Instituts bleibt bis heute in seiner personellen Besetzung und in seiner wissenschaftlichen Qualität höchst unterschiedlich. Immer wieder muss sich Henke für Vorträge einzelner Mitarbeiter entschuldigen.
Zum Ausbruch kam der offene Streit durch einen abenteuerlichen Artikel des Privatdozenten und Institutsmitarbeiters Lothar Fritze in der FR am 8. November vergangenen Jahres, in dem er dem Hitler-Attentäter Georg Elser die moralische Berechtigung für seine Tat abspricht. Elser habe in einer „mitleid- und gedankenlosen Weise“ zu einer Methode gegriffen, die den Tod Unbeteiligter von vornherein einkalkulierte. Acht Menschen waren bei Elsers Anschlag im Münchner Bürgerbräukeller am 8. November 1939 ums Leben gekommen, Hitler war der Bombe um wenige Minuten entkommen.
Doch nicht allein die Toten legt Fritze dem Attentäter Elser zur Last, sondern vor allem, dass Elser nicht vor Ort geblieben sei. Dann nämlich hätte er merken können, dass Hitler dem Anschlag entgehen würde, Elser hätte Bombenalarm geben können oder sich schützend vor die anderen Leute werfen können. Schließlich sei nicht einzusehen, warum sie sterben sollten, während der Attentäter versucht, über die Schweizer Grenze zu fliehen. Der „Durchschnittsbürger Elser“ habe seine „Beurteilungskompetenz überschritten“.
Das hat Fritze offenbar auch. Sein Kritikmodell des „Täters mit gutem Gewissen“ hat Fritze zur Untersuchung des autoritären Sozialismus entwickelt. Da mag es gute Dienst geleistet haben. Angewandt auf Elser, gerate es zu einer verqueren Sophisterei, die alle historischen und politischen Realitäten verkenne, kritisiert jedoch der Historiker Hans Günter Hockerts. Die beiden Widerstandsforscher Peter Steinbach und Johannes Tuchel sehen in Fritzes Artikel eine Rechtfertigung von Passivität und Anpassung, eine Verteidigung des Mitläufertums.
Der Abdruck des Textes in einem Massenmedium, ausgerechnet zum Gedenktag, muss als ein geschichtspolitischer Affront verstanden werden. Der wissenschaftliche Beirat des Instituts, in dem neben Friedländer die beiden Historiker Hockerts und Hans Mommsen sitzen, distanzierte sich: Hier lege ein „moralischer Scharfrichter“ eine Messlatte an, die unter den Bedingungen einer Diktatur nicht einzuhalten sei.
Der Beirat forderte daraufhin die Entlassung des stellvertretenden Institutsdirektors Uwe Backes, der Fritze zu der Veröffentlichung ermuntert hatte. Auch Direktor Henke will, dass Backes geht. Er habe als Vizedirektor dem Institut geschadet.
Fritze und Backes dagegen berufen sich auf die Freiheit der Wissenschaft und unterstellen dem Direktor, diesen Grundsatz zu verletzen. Tatsächlich hatte Henke den Abdruck des Textes in einer Zeitung verhindern wollen, er sah darin eine politische Setzung – unter Verletzung wissenschaftlicher Standards. Gegen eine Veröffentlichung in einem Fachorgan hatte er nichts einzuwenden.
Die Folgen des Abdrucks sind kaum zu übersehen. Der in Los Angeles lebende Friedländer macht sein Verbleiben im Institut nun von Backes Weggang abhängig. Die Dresdner Bank koppelt ihren Auftrag an den renommierten Friedländer. Auch Hannah Arendts Nachlassverwalterin droht, dem Institut das Namensrecht zu entziehen, wenn es Friedländer nicht halten kann.
Der unter Druck geratene Uwe Backes versteht die Aufregung immer noch nicht und erklärt die deutsche Öffentlichkeit im Umgang mit der NS-Geschichte für „neurotisch“. Die Gefahr, von der falschen Seite Beifall zu bekommen, dürfe kein Grund sein, auf heikle Themen zu verzichten.
Wie der Streit ausgeht, ist nun offen. Der moderate Wissenschaftsminister Meyer sucht gerade nach einer „außerrechtlichen Lösung“ für Backes, das heißt: nach einem anderen Posten. Als wenig hilfreich erwies sich dagegen die Wortmeldung von Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf. Er erklärte, Friedländers Ultimatum sei gar keins, der NS-Forscher sei doch schon längst aus dem Wissenschaftlichen Beirat ausgeschieden.
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