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Dribbeln zwischen Christbaumkugeln

Wer sich von fremdbestimmten Bildern emanzipieren will, produziert am besten eigene: Das Haus der Kulturen der Welt zeigt die Fotoausstellung „Porträt Afrika. Fotografische Positionen eines Jahrhunderts“ ■ Von Harald Fricke

Der halbe Stamm hat sich auf dem Marktplatz versammelt. Skeptisch stehen die Menschen im Kreis um einen Fotografen, der seine monströse Boxkamera auf eine Gruppe mit Frauen gerichtet hat. Gleich wird „der Hexenmeister“ abdrücken und ihnen „den Schatten rauben“: Das Foto am Eingang zur Ausstellung „Porträt Afrika“ könnte als ethnografische Urszene gelesen werden. Tatsächlich ist es aber eine stark vergrößerte Postkarte von 1939. Antoine Freitas hat sie an seine Familie geschickt. Der Angolaner ist für die Regierung des Kongo unterwegs, um mit dem Fotoapparat das Leben selbst in entlegenen Provinzen festzuhalten. Fast zeitgleich reist Dorothea Lange durch die USA, um die Armut Kaliforniens zu dokumentieren: Ihr „Portrait einer Wanderarbeiterin“ hängt heute im Museum of Modern Art und ist Fotogeschichte.

Dass auch Afrika seine Identität aus Fotos gezogen hat, gehört zu den Vorgaben der Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt. Während im Westen noch mit Irving Penns Aktaufnahmen junger Frauen aus den Sechzigerjahren die Exotik des Kontinents hervorgehoben wurde, ist man heute darum bemüht, nicht im Diskurs des Anderen stecken zu bleiben. Wer sich von fremdbestimmten Bildern emanzipieren will, muss eigene produzieren. Schließlich ist die Kamera nicht bloß ein Symbol der Beherrschung, sondern zuallererst technisches Gerät. Der Fotoapparat war zwar Teil der kolonialen Ordnung, später funktionierte er aber ebenso gut beim Aufbau eines panafrikanischen Selbstbewusstseins. Statt also mit der Repräsentation Afrikas in Europa zu hadern, geht es um Wahrnehmung von Realität. Oder, wie Simon Njami schreibt: „Die Südafrikaner haben nicht Apartheid fotografiert, weil sie Südafrikaner waren, sondern weil die Apartheid in ihrem Land herrschte und sie darunter litten.“

Entsprechend gliedern sich die 300 Fotos und Bildvorlagen der Ausstellung für die erste Hälfte des Jahrhunderts chronologisch: „Im Spiegel des Kolonialismus“ zeigt anonyme Porträts aus dem Senegal, Bilder aus dem Fotostudio von Mama Casset bis hin zu Daniel Attoumo Amichias 1950 entstandenen Aufnahmen von Stammesfürsten der Elfenbeinküste.

Dabei stechen vor allem Arbeiten von Cornelius Yao Azaglo Augustt hervor: Der 1924 in Togo geborene Fotograf hatte 1960 die Landbevölkerung in Korhogo porträtiert. Selten sieht man Menschen, die dermaßen misstrauisch in die Kamera schauen. Doch gerade die strenge Haltung wirkt in ihrer Angespanntheit weit über den Moment der Aufnahme hinaus: Die Furchen auf den Gesichtern bei Augustt wirken fast wie eingebrannt in die Bildflächen der Fotografien.

Erst bei den Porträts Seydou Keïtas lockert sich das Verhältnis der Protagonisten zur Apparatur. Seit den Fünfzigerjahren arbeitet Keïta für das neue Bürgertum in Bamako, der Hauptstadt von Mali. Auf seinen Fotos sieht man fein herausgeputzte Frauen, die in ihren üppig ornamentierten Kleidern auf noch üppiger mit Mustern überzogenen Stoffbühnen thronen. Die Atmosphäre ist entspannt, die Menschen lächeln – immerhin sind es keine Fotos mehr, die zur erkennungsdienstlichen Erfassung benutzt werden, sondern Auftragsbilder für das Privatalbum.

Mit der wachsenden Unabhängigkeit in den Sechzigerjahren ändern sich auch die Themen. Der Angolaner Depara treibt sich nachts in den Musikklubs von Kinshasa herum und dokumentiert die neu entstehende Jazzszene. Malick Sidibe wird in Mali zu illegalen Partys eingeladen, um den Teenagern am Tag danach Bilder aus dem Dance-Underground zu liefern – er ist eine Art Wolfgang Tillmans des Bamako-Soul. Und Samuel Fosso aus Kamerun wirkt auf seinen seltsam stilisierten Selbstporträts in Badehosen und Gummihandschuhen wie ein Pendant zu den Rollenspielen von Cindy Sherman. Dabei benutzt Fosso die Inszenierungen lediglich, um die Filme vollständig zu verknipsen, weil zu wenige Kunden in sein Fotostudio kommen.

Ohnehin geraten mit dem Aufkommen der Farbfotografie in den Siebzigerjahren die Studios in eine Krise. Einzelbildabzüge rentieren sich nicht mehr, und für Farbentwicklungsmaschinen fehlt das Geld. Keïta schwört angeblich per Gelübde der Fotografie ab, Sidibe verlagert sich auf die Reparatur von Kameras. Statt dessen geht der Trend nun zu aufwendig dekorierten Studiosettings, in denen die Kundschaft vor handgemalten Kücheninterieurs oder Stereoanlagen posiert.

Irgendwann in den Neunzigerjahren verwischen dabei die Grenzen zur Collage: Auf wunderlichen Weihnachtskarten von Ronnie Okocha Kauma aus Uganda dribbeln Fußballer zwischen Christbaumkugeln, sein Landsmann Afanduula Sadala montiert schwarze „VIPs“ in einen Mercedes mit Stuttgarter Nummernschild hinein. So kehrt Europa doch noch in den afrikanischen Alltag zurück. Als Parodie auf die eigenen Verhältnisse.

Bis 12. 3., Di.–So. 10–19 Uhr, Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10. Magazin zur Ausstellung 25 DM

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