: Konzert, Kulissen & Kostüme
Müssen Regisseure ein Urheberrecht an ihrer Arbeit haben? Der Dresdener Skandal um die verstümmelte „Csárdásfürstin“ offenbart das Elend der Opernregie ■ Von Ralph Bollmann
Das Publikum spielte ganz entschieden mit. „Geld zurück“, pöbelten die aufgebrachten Kleinbürger im Parkett. „Vorhang“, grölte der Abonnement-Mob von den Rängen. Türen klappend verließ ein Teil der Meute den Saal. Sänger und Orchester waren kaum noch zu hören.
Regisseur Peter Konwitschny hatte die walzerselige „Csárdásfürstin“ des österreichisch-ungarischen Komponisten Emmerich Kálmán in die Schützengräben des Entstehungsjahrs 1915 zurückverlegt. Doch jene festlich gestimmten Zuschauer im Saal, die vom Einbruch jener Erster-Weltkrieg-Wirklichkeit nichts wissen wollten, wurden dann zu Statisten im Lehrstück über das große Verdrängen. Am Ende des Operettenabends hielten sich freilich Buh und Bravo die Waage.
Der Skandal folgte erst zwei Tage später. Am Silvesterabend konnten die Dresdener per Großleinwand der zweiten Vorstellung der „Csárdásfürstin“ folgen. Drei Szenen allerdings blieben ihnen erspart, darunter der umstrittene Tanz der Hauptdarstellerin mit einem kopflosen Soldaten. Intendant Christoph Albrecht hatte gegen den erklärten Willen des Regisseurs verfügt, die Inszenierung verstümmelt zu spielen – auch bei allen künftigen Vorstellungen. Dagegen will Konwitschny nun klagen, wenn die Oper bis morgen nicht einlenken will.
Der Regisseur sieht sich in seinem Urheberrecht verletzt: „Bislang gibt es das für Regisseure nicht. Regie ist aber schon seit Richard Wagner zu einem ganz wichtigen Teil von Opernaufführungen geworden.“ Doch ganz so selbstverständlich, wie Konwitschny glauben machen will, ist das nicht. Die Dresdener Erregung wie auch die Leichtfertigkeit des Eingriffs lassen sich nur mit dem untergeordneten Status erklären, mit sich die Regie an Opernbühnen oft begnügen muss.
Vor allem des Musikgenusses und der Gesangssolisten wegen kämen sie in die Oper, gaben Besucher der Berliner Staatsoper bei einer Umfrage an. Die Leistung des Regisseurs folgte erst an dritter Stelle – dicht gefolgt von Entspannung, Geselligkeit und Ambiente.
Das Berliner Renommiertheater hat daraus längst die Konsequenz gezogen – und legt „besonderes Gewicht auf die musikalische Seite der Aufführung“. Regisseure aus der ersten Garnitur werden immer seltener engagiert, subalterne Lückenbüßer dürfen – wie zuletzt die Koblenzer Intendantin Annegret Ritzel bei Bellinis „Norma“ – den Sängern gerade noch sagen, von welcher Stelle aus sie ihre Arien in den Zuschauerraum trällern sollen.
Überhaupt ist das Regiedesaster keineswegs ein Problem der kleinen Häuser. Im Gegenteil: Gerade der Starkult an den Bühnen von Weltrang – zwischen New York und Wien, Mailand und München – fördert die inszenatorische Einfalt. Kurz vor der Premiere fliegen die Primadonnen und Heldentenöre ein, danach wird das Werk jahrelang in wechselnden Besetzungen abgenudelt. Das verschleißt auch die beste Inszenierung. Da entscheidet man sich lieber gleich für die konventionelle Variante, in der sich auch die Zweitbesetzung rasch zurechtfindet.
Regisseure wie Konwitschny, die ihren Namen verdienen, sind auch hundert Jahre nach Wagner eine Ausnahme geblieben. Der Glaubensstreit, ob es sich bei Oper um Theater mit Musik handelt oder lediglich um ein Konzert mit Kostümen und Kulissen, ist für viele Opernfreunden noch keineswegs entschieden. Weite Teile des Publikums hängen im Geiste noch jenen Zeiten an, in denen die Primadonna ihr eigenes Kleid zur Aufführung mitbrachte.
Naturgemäß ist der Spielraum für die Regie an der Oper kleiner als am Schauspiel, denn der freie Umgang mit dem Stoff findet seine Grenzen in der Musik. Doch die meisten Regisseure loten die reizvolle Spannung zwischen künstlerischer Freiheit und den Zwängen der Form erst gar nicht aus. Weit über das notwendige Maß hinaus bleiben sie der Konvention verhaftet, sodass sich der Zuschauer bisweilen fragt, wofür Opernregisseure überhaupt bezahlt werden. Muss auch in der hundertsten „Zauberflöte“ der Vogelfänger Papageno mit Federkleid und Bambuskäfig auftreten? Muss auch im fünfzigsten „Tannhäuser“ der Titelheld beim Sängerwettstreit seine Harfe in die Höhe recken?
Lichtblicke bieten nicht selten gerade die kleineren der rund achtzig deutschen Musikbühnen. Sie unterliegen immerhin dem heilsamen Zwang, einem nicht immer kundigen Publikum zumindest die Grundzüge der Handlung näher zu bringen – das lässt bloßes Herumstehen nicht zu. Da zeigt sich gerade an den ostdeutschen Häusern das Erbe des Österreichers Walter Felsenstein, der als langjähriger Intendant der Komischen Oper in Ostberlin die traditionelle Sängeroper im Orkus der Theatergeschichte versenkte.
Nicht selten freilich verkommt das Regietheater à la Felsenstein zu einem platten Realismus, der einer hochartifiziellen Kunstform wie der Oper kaum gerecht wird. Das Publikum interessieren, aber nicht verschrecken: Das ist für die Intendanten der Provinztheater eine Gratwanderung. Viele von ihnen sparen schon vor der Premiere nicht mit Ratschlägen für die Inszenierung. Der Regisseur, auf Engagements angewiesen, wird sich im Zweifel daran halten – wenn er nicht schon vorauseilende Selbstzensur geübt hat.
Besonders heikel ist das Operettenpublikum. Bei Beethovens „Fidelio“ oder Mozarts „Entführung“ mag das Publikum in Neustrelitz oder Cottbus für zeitgemäße Deutungen noch zu interessieren sein. Wer aber Karten für die „Fledermaus“ oder die „Lustige Witwe“ kauft, ist meist auf unbeschwerten Kitsch eingestellt.
Doch gerade diese Widerstände haben anspruchsvolle Regisseure verlockt, sich des belächelten Genres anzunehmen: Nirgends sonst ist ein Theaterskandal heute noch so leicht zu haben. Da brauchte nur der Engländer David Alden an der Wiener Volksoper auf den nahe liegenden Gedanken zu verfallen, Johann Strauß’ Zigeunerbaron in Strömen von Schweineblut zu ertränken – schon tobte das Premierenpublikum. Dabei hatte Alden den Stoff bloß wörtlich genommen: Schließlich geht eine der Hauptpersonen dem Beruf des Schweinezüchters nach.
Das Pauschalpublikum in Dresden, wo Ströme von Bustouristen das Haus fast jeden Abend bis auf den letzten Platz füllen, mag noch ein wenig heikler sein. Doch nicht das johlende Publikum, sondern erst Intendant Albrecht hat den wahren Skandal ausgelöst – und die Verhältnisse an Deutschlands Opernhäusern offenbart.
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