: Moskau zweifelt an raschem Sieg
■ Der russische Interimspräsident Putin fordert „Zeit und Geduld“ im Krieg im Kaukasus. Die tschetschenische Regierung kündigt mobile Partisanenangriffe im ganzen Land an
Moskau/Grosny (AFP/dpa) – Die russische Regierung rechnet offenbar nicht mehr mit einem raschen Sieg im Tschetschenien-Krieg. Interimspräsident Wladimir Putin räumte am Samstag erstmals ein, dass Russland in dem Konflikt „Zeit und Geduld“ brauche. Die Armee werde einen „endgültigen Erfolg“ in der Kaukasusrepublik erzielen, sei dafür aber auf mehr Unterstützung aus der Zivilbevölkerung angewiesen, sagte Putin im staatlichen Fernsehsender ORT.
Die Armee müsse die Unterstützung, die sie bereits innerhalb der tschetschenischen Zivilbevölkerung genieße, weiter ausbauen, sagte Putin. Mit einem „Bombenteppich“ sei der Erfolg nicht zu erreichen. Ziel der Offensive sei weiterhin, zunächst die tschetschenische Hauptstadt Grosny zu erobern und dann die „Operation“ in den Bergen im Süden der Republik zu beenden. Einen Zeitpunkt für das Ende des Feldzuges wollte Putin aber nicht nennen. Sein an Silvester zurückgetretener Amtsvorgänger Boris Jelzin war vor zehn Tagen noch von einer Niederlage der Tschetschenen „in einem Monat“ ausgegangen.
Auch der Oberste Verteidigungsrat Tschetscheniens legte unter dem Vorsitz von Präsident Aslan Maskhadow die neue Taktik für den Kampf gegen die Russen fest. „Die Zeit der Positionskämpfe geht dem Ende zu, ab sofort wird die Taktik des Partisanenkrieges angewendet“, sagte der tschetschenische Verteidigungsminister Magomed Hambijew nach Angaben der Agentur Interfax. Der Tagungsort des Rates wurde geheimgehalten.
Der Partisanenkrieg der Tschetschenen werde künftig von mobilen Einsatzgruppen geführt werden, die russische Einheiten auf dem ganzen Gebiet Tschetscheniens angreifen sollen. Dadurch sollten auch breit angelegte Angriffe in der russischen Etappe „systematisch“ eingeleitet werden, meinte Hambijew. „Unser Ziel ist es nicht, Siedlungen zu erstürmen und zu besetzen“, sagte er. „Unsere Aufgabe ist vielmehr die Zerschlagung russischer Verbände und der anschließende Rückzug, um die Angriffe an anderer Stelle zu wiederholen.“
Die englischsprachige Zeitung Moscow News berichtete am Wochenende unter Berufung auf eigene Recherchen vor Ort, dass die russischen Militärs bei ihrem Vormarsch durch Tschetschenien wiederholt ganze Dörfer „erpresst“ hätten. Nach Androhung von Luft- und Artillerieangriffen hätten Generäle und ranghohe Frontoffiziere von tschetschenischen Dorfbewohnern Geld- und Sachgeschenke wie Fernseher erhalten, um die Zerstörung der jeweiligen Siedlung abzuwenden. Bei „Nichtbezahlung“ seien die Dörfer vor der Zerstörung noch zur Plünderung durch die Truppen „freigegeben“ worden.
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