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■ Ist Deutschwerden eine Gnade?

betr.: „Union: Grundgesetz nicht auf Türkisch“, taz vom 12. 1. 00

[. . .] Axel Fischer (CDU), Vizesprecher der Jungen Gruppe der CDU/CSU-Abgeordneten im Bundestag, hat gesagt, dass es nicht notwendig sei, das Grundgesetz in türkischer Sprache zu veröffentlichen, wie es von Cem Özdemir (Grüne) vorgeschlagen wurde. Warum ist es nicht notwendig? Weil, wer die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben will, Deutsch lernen soll.

Nun war Integration von Einwanderern keine hohe Priorität der alten Bundesregierung, und das Angebot an Deutschkursen und anderen Hilfs- und Integrationsangeboten ist folglich nicht gerade dicht gesät. Das wird sich vermutlich auch nur langsam ändern. Es geht aber nicht nur darum.

Es geht auch darum, dass Axel Fischer vergisst, dass das Grundgesetz, auf das man hier in Deutschland ja auch gerne mal öffentlich stolz ist, für alle Menschen gilt, die hier leben, ob sie nun einen deutschen Pass besitzen oder nicht. Also kein Service für „Doppelstaatler“, sondern – wenn man so will – eine Maßnahme zur Pflege, Verbreitung und Durchsetzung deutscher politischer Kultur.

Wenn man, zwecks Integration, von hier lebenden einbürgerungsbereiten (und eigentlich auch von allen anderen) AusländerInnen verlangt, sich zum Grundgesetz zu bekennen, dann müssen sich diese Leute auch mit dem Grundgesetz bekannt machen können. Und wenn man es ernst meint mit der Integration und mit dem Grundgesetz, dann muss man auch in Deutschland lebenden AusländerInnen Zugang zu ihren Rechten verschaffen. Und zu diesen Rechten gehört auch das Wissen darum, wie der Staat beschaffen ist, in dem man lebt.

Warum also glaubt Axel Fischer, es sei nicht notwendig, das Grundgesetz in türkischer (und in anderen) Sprachen zu veröffentlichen? Weil Axel Fischer glaubt, dass Deutschsein ein Geburtsrecht und Deutschwerden eine Gnade ist und dass Integrationsleistungen nur die Leute erbringen müssen, die reinkommen, und nicht genauso auch die, die schon drin sind. Cem Özdemir sieht das anders und ich auch. Japa F. Bergmann, Hamburg

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