: Die Quadratur der Leiber
Forschung und Demokratie: Die Choreografinnen Anna Huber und Amanda Miller eröffnen heute auf Kampnagel die „Tanzplattform Deutschland 2000“ ■ Von Birgit Glombitza
Der Tanz hat den Körper längst wieder und hisst sein Fähnchen mit den Insignien des Freiheitskampfes. Die Anstrengung der Selbstfindung sollte er mittlerweile hinter sich haben. „Demokratisierung des Körpers“ lautete die erste Strophe des Überzeugungskanons, nachdem man die Korsage des Klassischen bereits in Stücke gerissen und den Staatstheatern den Rücken zugekehrt hat. Nun soll auch das Stammeln und Schunkeln zwischen Postmoderne und Dekonstruktivismus mehr sein als geborgte Zeichen und leere Repräsentationen.
Vor diesem Hintergrund scheint sich die Szene um neue Leibesvisitationen zu bemühen: vom effektvollen Sezieren des Vertrauten bis zum behutsamen Verpflastern des vormals Gestückelten, von der Entdeckung alter Fantasmen und immer noch zutiefst empfundener Leib-Seele-Dilemmata bis zur Feier neuer Geschmeidigkeiten und vorübergehenden Ganzheit. Der aktuelle unabhängige Tanz, wie er sich von heute an bis zum 23. Januar bei der „Tanzplattform Deutschland 2000“ auf Kampnagel präsentiert, besucht sich selbst, geht mit sich in Revision und auf Spurensuche in der eigenen Geschichte.
Wie konzentriert und bizarr diese Körperinspektionen ausfallen können, lässt sich in den Choreografien der Schweizerin Anna Huber ablesen, die zusammen mit dem Taiwanesen Lin Yuan Shang die Plattform mit L'autre et moi eröffnet. Die Schlagbäume am „Grenzbereich zwischen Abstraktion und Emotionalem“ will sie passieren, das Fremde im Vertrauten, das Eigene im Anderen aufspüren. Ungeheuer präzise sind Hubers Bewegungen und dabei so nüchtern wie die Laborskizzen einer gewissenhaften Forscherin. So umkreisen die zwei Untersuchenden sich denn, finden kurz zu paarweisen Bewegungen, um dann wieder ganz in den eigenen Einzelteilen aufzugehen. Eine Hand wird da schnell so fremd wie ein unverhofftes Spinnenbein. Und wenn Anna Huber mit spitzwinkligen Ellenbogen und heillos verschränkten Gliedmaßen am Boden kauert, wird sie zu einer eindrucksvollen Collage ihres eigenen Körpers.
Zart, luftig und gelegentlich von zweifelhafter Anmut hingegen sind die Arbeiten der ehemaligen Forsythe-Schülerin Amanda Miller. Ihre Tänzerinnen und Tänzer steckt sie gerne in transparente, fließende Kleidung, lässt sie schweben, sich drehen und hüpfen, als gäbe es morgen keine Gelegenheit mehr zur allgemeinen Entrückung – als gälte es, dem Illusionismus der Leichtigkeit und des höfischen Rituals aus den Anfängen des Balletts eine rettende Reform unterzuschieben. Miller, die 1992 das Ballett Frankfurt verließ, um mit der Pretty Ugly Dance Company ihre eigene Truppe zu gründen, webt ihre Stücke wie feine Wandteppiche – was ihr nicht selten den Vorwurf einbrachte, sich am reinen Dekor abzuarbeiten, wenn auch an einem mit traumwandlerischem Zauber.
Drei Tanzstücke wird Amanda Miller heute und morgen zeigen. In Antique sollen barocke Elemente neu arrangiert und belebt werden, bis sie, begleitet von der Musik Fred Friths, sich gegenseitig parodistisch kommentieren. Die neueste Produktion, demonstration, ist ein Frauenduett, in dem sich die Tänzerinnen zu den handelsüblichen Splash!- und Oops!-Geräuschen des Cartoons bewegen. Haben die Trickfilm-Kreaturen meist alle Hände voll zu tun, ihren Widersachern zu entfliehen, stehen die Tänzerinnen im Spannungsfeld „zwischen Ursprung und Schatten“. Und verlieren die Strichmännchen in Stresssituationen schon mal ihre scharfen Konturen, ist es hier die Musik von Carl Stalling, die an den Körpern zerrt.
Eine weitere Auseinandersetzung mit barocker Üppigkeit und einem Übermaß an verspielter Zeichenhaftigkeit findet in Four for Nothing statt. Eine getanzte Abhandlung über die Symmetrien der Maßlosigkeit und die Quadraturen des Leibes. Und „wenn ein Muskel ein Stück Geist“ ist, wie Amanda Miller sagt, der gleichberechtigt mitwirkt in jener Dauerdemokratisierung des Körpers, dann haben die Tänzer in diesem Teil sicher allerlei Gedankenbizeps durchzupumpen.
Anna Huber & Lin Yuan Shang, „L'autre et moi“, heute, 19 Uhr, morgen, 15 Uhr, k2; Amanda Miller, drei Tanzstücke, heute, 20.30 Uhr, morgen, 20 Uhr, k6
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