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Jeder Kassenbon ist ein Kundenprofil

Zur Grünen Woche kommen alle, doch in den Kiezen unterscheiden sich die Konsumgewohnheiten. Ein Einkaufsbummel durchdie Supermärkte einer Kette zeigt deutliche Unterschiede im Ernährungsverhalten der Berliner ■ Von Richard Rother

Sag mir, was du isst, und ich sag dir, wer du bist. Einkaufswagen – das sind wahre Fundgruben, nicht nur für die Supermarktketten, sondern auch für Statistiker und Soziologen. Auf der Grünen Woche in Berlin wird viel geredet über Lebensmittel, Landwirtschaft und Ernährung. Was aber essen die Berliner und Berlinerinnen im Alltag? Essen sie gesund oder billig? Wie groß sind die Unterschiede zwischen Ost und West, zwischen den Stadtteilen und Kiezen? Sie sind evident, wie ein Blick auf herumflatternde Kassenbons und in die mehr oder weniger gefüllten Einkaufswagen ein und derselben Supermarktkette an verschiedenen Orten zeigt.

„Honig Snakes 2,29 Mark, Zinfandel 8,99, Hackfleisch 2,99, Bami Goreng 6,99, Wurst Bed. 9,34, Vittel 1,79, Pfand 0,50, Natreen Saft 1,49, Schokids 1,49, Litschi 2,93, Golst. Mozza 1,39, Wattepads 1,39, Hohes C 1,99, Colgate ZC 3,99, Gewürzm. 2,49, Butter 1,79, Rahmporree 2,99, Fanta Limet. 1,49, Möhren 1,49, Greenfields 1,99, Philadelphia 2,29, Ruccol. Salat 3,99 . . . usw., Summe DEM 83,55, 18.01.00, 18:47:09.

Für den Kaiser’s in der Prenzlberger Winsstraße ein typischer Bon. Die Leute, die hier im Schritt für Schritt sanierten Kiez zwischen Greifswalder und Prenzlauer Allee einkaufen, scheinen mittlerweile Geld zu haben – und sie geben es für relativ hochwertige Lebensmittel aus. „Ja, Müslizeug und Körnerkram gehen hier ganz gut“, sagt eine Verkäuferin kurz angebunden und räumt weiter Getreideprodukte ins Regal.

Dass der hiesigen Kaiser’s-Kundschaft Gesundheit und Lebensstil am Herzen liegen, scheint auch die Präsentation der Angebote zu bestätigen: Da stehen direkt hinter der weiträumigen Gemüseabteilung Gesundheits- und Selbsterfahrungsbücher, dahinter kalifornischer Rotwein von Ernesto & Julio Gallo für immerhin 8,99 Mark. Der ist woanders durchaus billiger zu haben – ein Indiz dafür, dass das Produkt dennoch gut geht. Immerhin kostet der Rotwein Edler von Mornag, neben der Käsetheke präsentiert, auch 50 Pfennig mehr als in anderen Kaiser’s-Filialen. Ein Branchenkenner weiß, wie das funktioniert: „Jeder Markt versucht eben die Preise für ein Produkt zu erzielen, die möglich sind.“ Ist die Nachfrage groß, wird halt ein wenig draufgelegt.

Kein Wunder, dass die Filialleiter ihre Supermarktzahlen hüten wie ihren eigenen Augapfel. Gegenüber der Presse haben sie strengstes Redeverbot, und auch Verkäuferinnen lassen sich allenfalls Einzelaussagen entlocken. Das ist verständlich: Kundenanalyse ist Marktanalyse, und jede Antwort könnte die Konkurrenz auf den Plan rufen. Die Konkurrenz ist groß, denn gerade der Lebensmitteleinzelhandel hat in der Stadt unter enormen Umsatzeinbußen zu leiden. Grund: Sinkende Löhne, die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und die Abwanderung Gutverdienender lassen die Kaufkraft in der Stadt sinken. „Da ist es kein Wunder, dass sich die Konkurrenz nicht in die Karten gucken lässt“, sagt Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Berliner Einzelhandelsverbandes.

Die Konkurrenz – das müssen nicht einmal andere Ketten sein: Schließlich könnte jeder auf die Idee kommen, einen 99-Pfennig-Schnäppchenmarkt in der Nähe eines Supermarkts zu eröffnen, in dem überduchschnittlich viel Billigprodukte verkauft werden. Oder eine Weinhandlung, wenn die entsprechende Nachfrage besteht. „Wir geben grundsätzlich keine Statistiken über die Abverkäufe unserer Filialen heraus“, sagt eine Sprecherin aus der Kaiser’s-Zentrale in Mülheim an der Ruhr.

Das ist schade, denn stadtsoziologisch gesehen sind solche Statistiken brauchbarer als Steuererklärungen. Jeder Kassenbon ist ein Kundenprofil, und selbst an der Zahl der Stornierungen lässt sich etwas ablesen über die sozialen Verhältnisse im Kiez. „Man kann ganz klar seine Klientel beurteilen“, weiß ein Supermarktchef aus Prenzlauer Berg. Und die habe sich in in den vergangenen Jahren stark verändert. Kauften noch vor einiger Zeit hauptsächlich Studenten und Rentner preisgünstige Waren, so kann man jetzt auch bessere Qualitäten absetzen – Naturprodukte, Teigwaren, Weine, Gemüse, Markenbiere und -schnäpse. Und: Unter den Yuppies sind auffallend viele Vegetarier zu finden. Molkereiprodukte gehen überdurchschnittlich gut, Käse- und Wurstumsatz halten sich fast die Waage, üblich ist ein Verhältnis von eins zu vier.

In der Winsstraße trägt eine junge, hip gekleidete Frau mehrere Flaschen Pitú unter dem Arm aus dem Supermarkt. Cocktailparty am Dienstagabend? Im Markt sind immerhin sieben verschiedene Sorten Aceto Balsamico zu entdecken, die edelste kostet 39,99 Mark, daneben steht ein Olivenöl für 28,99 Mark, 100 Gramm Garnelen kosten 6,99 Mark. Produkte, die es in anderen Kaiser’s-Märkten gar nicht gibt.

Zum Beispiel nicht in dem in der Greifswalder Straße, keine zwei Straßenbahnstationen entfernt. Hier, am Rande eines DDR-typischen Neubaugebiets, gibt es nur noch vier Sorten Aceto Balsamico, der billigste Markenrotwein ist für 4 Mark zu haben, das Beck’s kostet nur 1,09 Mark. Das scheint aber ein Ost-West-Phänomen zu sein – die gleichwertigen Ostmarken Wernesgrüner und Radeberger kosten je 1,29 Mark. Der Beweis: Ossis trinken Ostbier.

Durch die Reihen laufen eher ältere Leute, die Einkaufswagen sind nur halb gefüllt. „Wir haben hier viele ältere Kunden, man sieht das schon an den Sachen, die aufs Band kommen“, sagt eine Frau an der Kasse. Dennoch wird an der Frischtheke „eher die gute Wurst verkauft“, weiß eine Verkäuferin. Gegen 17 Uhr ändert sich das Bild: Schulkinder und Ältere verschwinden, die Berufstätigen prägen die Szene. Jetzt werden auch wieder die Körbe voller und die Bons länger, fast jeder kauft ein frisches Brot am Bäckerstand.

So viel Luxus ist bei Kaiser’s nördlich des Halleschen Tors nicht zu entdecken. Hier, im Kreuzberg des sozialen Wohnungsbaus, dominiert in Plastik eingeschweißtes Brot das Kassenband, obwohl es schräg gegenüber einen Bäcker gibt. Die Kartoffeln sind billig, vom Aceto Balsamico gibt es nur zwei Sorten. Dagegen gibt es umso mehr Schilder, die auf Schnäppchen hinweisen. Kaum jemand wirft mehr als zehn Artikel aufs Band, darunter auffallend viel der Billigmarke A&P. Ein etwa 40-jähriger, normal gekleideter Mann kauft zwei Büchsen Bier, zwei A&P-Pizzen, ein Netz Mandarinen, ein eingeschweißtes Brot und Alufolie, mehr nicht.

Ein wenig anders sieht es beim Kaiser’s im Kreuzberger Wrangelkiez aus – wie in Prenzlauer Berg sind auch in Kreuzberg Unterschiede innerhalb eines Bezirkes sichtbar. In der Wrangelstraße sind fast alle Kunden Deutsche, obwohl sie im Kiez deutlich in der Minderheit sind. Die meisten Körbe sind recht gut gefüllt: mit Wein, Jogurt, Käse, Wurst. Sachen, die frisch zu haben sind, werden kaum abgepackt gekauft. Markenrotwein kostet mindestens 5 Mark.

Fast jeder kauft Wurst, und meistens sind es die besseren Sorten. „Ich wundere mich auch immer darüber“, sagt eine Verkäuferin. Dabei müsste sie nur auf die andere Straßenseite gehen. Dort, im Penny-Markt, kaufen die Mehrheitsbewohner des Wrangelkiezes ein.

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