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Entspannt im Hier und Heute

Ökonomie mit kleinen Seltsamkeiten: Peter Zadeks unheimlich präziser „Hamlet“ ist zu Gast im Schauspielhaus  ■ Von Ralf Poerschke

Nachdem Peter Zadek sich mit vogelig schiefgelegtem Kopf in den starken, aber nicht überschwänglichen Applaus begeben hat, hier, auf der Bühne des Schauspielhauses, seiner alten Intendanten-Wirkungsstätte, die er mit einem Gastspiel, dem Blauen Engel, zuletzt 1992/93 besuchte, da nimmt er Paulus Manker, seinen Richard III. von 1998, zwischen beide Hände und scheint sagen zu wollen: Seht diesen Schauspieler, sechs Wochen Zeit für den Polonius (und den Osric), und welch eine Leistung. Es ist ein ganz smarter Mi-nister am faulen Hofe zu Helsingör geworden, ein eloquenter Politprofi, ein Machtmensch, der den Medien noch was vormachen könnte, immer auf der Höhe, schon eitel, ein wenig schmierig auch, doch sehr intelligent, rhetorisch natürlich 1a. Und welch eine Last wohl auch: in dieser Rolle Ulrich Wildgruber nachzufolgen, der sich im November 1999 in der Berliner Schaubühne mit einem ganz anderen Polonius von der Welt verabschiedet hatte.

1977 in Bochum war Wildgruber bei Zadek noch der Hamlet, in einer spektakulären, komischen und selbstredend auf Provokation angelegten Inszenierung. Heute vermeidet der Altmeister im Hamlet alles Übertriebene, dezidiert Originelle, platziert den Slapstick dorthin, wo er passt, lässt eher leise als laut sprechen und macht das meiste einfach – aber manches ist einfach unerhört seltsam dabei. So kommt der Geist von Hamlets Vater (Hermann Lause) als närrisch mit Glöckchen klingelnde Vogelscheuche ganz ohne Spuk-Brimborium daher – doch wieso hält er diesen schwarzen Ringordner mit seinen leeren Klarsichthüllen immer so bedeutungsschwer hoch oben am Kopf? Shakespeares Hamlet ist voller Geheimnisse, allerdings sind das nicht die Geheimnisse, die Zadek interessieren.

Hinter dieser Inszenierung steckt kein Masterplan, was man sich schon vorher denken kann, wenn man das Programmheft zur Hand nimmt. Es enthält das Stück, die Schauspieler-Lebensläufe und ein paar Probenfarbfotos, sonst nichts. Kein einziger winziger Hinweis auf eine Absicht, mit Ausnahme des Stücks selber, das Elisabeth Plessen sehr gegenwärtig, sehr flüssig, sehr schlicht-schön und ab und an auch lustig übersetzt hat. Von Anfang an stellt der Regisseur klar: Jetzt ist hier und heute, wir wissen alle, wie die Welt aussieht, und wir spielen Theater, und zwar ohne Klischees. Dazu gehört, dass Bühnenbildner Wilfried Minks es dabei belässt, einen multifunktionalen Container aufzustellen. Und dazu gehört, dass Zadek hinsichtlich der Menge seiner Einfälle die äußerste Ökonomie an den Tag legt, die möglich ist, ohne zu langweilen. Drei, vier Mal zeigt er, was er kann, das muss reichen. Denn der eine, der große, der fundamentale, der alles determinierende Einfall bestand ja schon darin, den Dänenprinzen mit Angela Winkler zu besetzen. Dass sie eine Frau ist, ist zweitrangig, denn weibliche Hamlets gabs ja schon. Wichtig allein ist: Angela Winkler.

Das androgyne Wesen Hamlet macht eine typische Bewegung: Es lässt hilflos die Schultern hängen. Auf dem Stuhl sitzt es ganz vorn am Rand; jede auch nur halbwegs heftige Geste wirkt ungelenk; trifft es nach langer Zeit den Freund Horatio (Klaus Pohl), freut es sich wie ein Kind; es ist aber nie kindlich im Sinne von naiv, da es alles gesehen hat und weiß, dass es daran zu Grunde gehen wird; es ist ein greiser 14-Jähriger, wenn es so etwas überhaupt gibt; es lispelt bisweilen und lacht „ha, ha!“; es ähnelt einem jungen Vogel, der aus dem Nest gefallen ist und noch nicht fliegen, doch schon hüpfen kann; es hantiert an der verliebten Ophelia (Annett Renneberg) herum, als wäre diese ein Haushaltsgerät, das man erst mal ausprobiert, ohne zu wissen, welche Funktion es eigentlich hat; wenn es – selten – seine Stimme hebt, dann werden die Abgründe der Rachsucht und der Grausamkeit für Sekundenbruchteile spürbar; wenn es – oft – zum Publikum spricht, blickt man durch ein schwarzes Augenpaar in den ewig tiefen Abgrund der Melancholie. Und wenn das Wesen stirbt, dann liegt es nicht am Boden, sondern sitzt aufrecht auf einem Stuhl mit den Händen im Schoß – wie schlafend, sanft, erlöst.

Das Drumherum ist unheimlich präzises Schauspielertheater-Handwerk, was Zadek sich hingegen nicht nehmen lässt, an einer Stelle überdeutlich zu pointieren: Nachdem Hamlet der Schauspielertruppe sein Understatement-Verständnis von der Schauspielerei erklärt hat, macht diese genau alles falsch, agiert derb und überdreht und heillos albern. In diesem Konzept darf nur ein einziger noch quer stehen: der unvergleichliche Otto Sander als König und Brudermörder Claudius. Er ist über die volle Distanz so sachlich, so wissend, so entspannt bis hin zur Müdigkeit – und nicht einmal im Suff ein echter Widerling –, dass man aus dem Staunen nicht heraus kommt. So kann einer gar nicht anders sterben als mit einem Lächeln auf den Lippen.

Mit diesem Hamlet, der im Mai 1999 bei den Wiener Festwochen Premiere hatte, über Zürich und Berlin nach Hamburg kam und im Juni noch in Hannover zu sehen sein wird, mit dieser beinahe viereinhaldstündigen Vergegenwärtigungsübung in Sachen Shakespeare hat Zadek akribisch, wenngleich nicht stur, sondern immer noch ernst-verspielt an seinem Altersstil gefeilt. Fast meint man, so könne es bleiben. Der Rest ist Theater.

noch heute bis Sonntag, 19 Uhr, Schauspielhaus

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