: Listenwahl mit List
In Südkorea gehen Bürger mit schwarzen Listen gegen korrupte Abgeordnete vor
Tokio (taz) – Politik ist ein schmutziges Geschäft. So wenigstens verstehen es die südkoreanischen Wähler, die mit einem großen Teil der Parlamentsabgeordneten unzufrieden sind. Rund drei Monate vor der nächsten Wahl haben sich rund 500 Bürgerorganisationen zu einer Koalition zusammengeschlossen und eine „Kampagne des Ungehorsams“ gegen „ungeeignete Parlamentarier“ eingeleitet. Korruption, Steuerhinterziehung, Abstinenz in Parlamentssitzungen und Beziehungen zu früheren Militärregimes hat die „Bürgerkoalition für die Parlamentswahl 2000“ als die schlimmsten Vergehen der Politiker ausgemacht. Prompt landete die Hälfte der bisherigen 329 Abgeordneten auf der schwarzen Liste.
Anhand dieser Liste will die Koalition nun in den Parlamentswahlen einen Negativ-Wahlkampf führen. Die ungewöhnliche Kampagne stößt in der südkoreanischen Bevölkerung auf Begeisterung. Mehr als zwei Drittel der Wahlberechtigten billigen das Vorgehen der Bürgergruppen. Die Wähler hoffen wohl, dass die Parteien diesmal fähigere und saubere Kandidaten aufstellen. In früheren Wahlkämpfen entschieden nicht so sehr die Integrität des Kandidaten, sondern seine persönlichen Beziehungen zu einem landesweit bekannten Politiker (Seilschaftsprinzip), der Zugang zu Spenden von Großunternehmen und Verbänden (Geldprinzip) sowie seine Bindung zu regionalen Interessengruppen (Provinzialprinzip).
Die Politiker auf der Liste reagierten erwartungsgemäß empört auf die Kampagne. Abgeordnete der heute oppositionellen Großen Nationalpartei (GNP) und der Vereinigten Liberaldemokraten (ULD), die in der Zeit der Militärdiktatur vor 1987 das Regime stützten, bezeichneten das Vorgehen der Bürgerkoalition als illegal. Denn nach dem Wahlrecht dürfen die Organisationen nicht Partei ergreifen. Die Parteien riefen die Zentrale Wahlkampfkommission zu Hilfe, die den Wahlboykott verurteilte.
Doch die aktivste Organisation – die Bürgerkoalition für wirtschaftliche Gerechtigkeit (CCEJ) – veröffentlichte unbeeindruckt die schwarze Liste der Parlamentarier und kündigte die Ausweitung der Listen an. Demnächst soll eine Tabelle früherer Wahlversprechen erstellt werden und dem, was die Abgeordneten davon umgesetzt haben. Wer Reformen versprach, aber dann gegen Reformgesetze stimmte, wird zur Abwahl empfohlen. Der Druck der Bürger wirkt. Am runden Tisch verhandeln nun Vertreter der Parteien mit den Bürgergruppen über eine Erweiterung der demokratischen Rechte, die den Organisationen die Teilnahme am Wahlkampf erlauben soll. Dabei werden sie sogar von Präsident Kim Dae Jung unterstützt. André Kunz
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