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Günter Grass? Nein danke!

■ Ernst Jünger bekam ihn, Günter Grass nicht: Eine von vielen Besonderheiten in der Geschichte des Bremer Literaturpreises. Was noch alles bemerkenswert war, erzählt Ex-Jury-Mitglied Wolfgang Emmerich im taz-Interview

Der Bremer Literaturpreis ist nach dem Büchner-Preis die wichtigste literarische Auszeichnung, die in Deutschland vergeben wird. Am Mittwoch wird Adolf Endler im Rathaus für seinen Gedichtband „Der Pudding der Apokalypse“ mit dem Hauptpreis geehrt. Christa Estenfeld erhält den Förderpreis für ihr Buch „Die Menschenfresserin“. In einem Gespräch mit der taz erläutert Wolfgang Emmerich, wieso der Preis so bedeutend ist, erzählt von umstrittenen Preisträgern, den Gründen für den Skandal um Günter Grass und von einem Kultursenator mit bizarren Begehrlichkeiten. Emmerich war von 1977 bis 1987 Mitglied der Jury und ist seit 1978 Professor für deutsche Literatur- und Kunstgeschichte an der Uni Bremen. Im vergangenen Jahr hat er eine Dokumentation über den Bremer Literaturpreis herausgegeben, die in der „edition die horen“ veröffentlicht worden ist.

taz: Der Bremer Literaturpreis gilt als wichtigste literarische Auszeichnung in Deutschland nach dem Büchner-Preis. Warum?

Wolfgang Emmerich: Man muss sich vergegenwärtigen, dass der Bremer Literaturpreis fast so alt ist wie die Bundesrepublik Deutschland. 1954 wurde er erstmals vergeben. Da ist die Republik noch jung gewesen. Es gab damals nicht sehr viele Literaturpreise. Eine solche Neustiftung, noch dazu unter der Schirmherrschaft von Rudolf Alexander Schröder, der damals im literarischen Leben der Adenauerzeit eine wichtige Rolle spielte, war schlicht ein Ereignis in der Literatur. Das wurde ganz anders wahrgenommen als es heute der Fall ist, wo es hunderte von Literaturpreisen gibt und nochmal ein neuer und nochmal ein neuer in die Welt gesetzt wird.

Der erste Preisträger konnte die hohen Erwartungen an die Qualitätsstandards dieser Auszeichnung aber nicht erfüllen ...

In der Tat ist 1954 die erste Chance zur Profilierung des Preises vertan worden mit der Vergabe an Heinrich Schmidt-Barrien, der ein ehrenwerter, nicht-nazistischer Regionaldichter und Erzähler ist. Aber es war nunmal keine Preisverleihung von nationalem oder gar internationalem Rang, wie man es sich bei der Gründung des Preises vorgenommen hatte. Es war eher, und Schröder hat das auch ausdrücklich gesagt, „eine soziale Maßnahme“. Der Mann hat schlicht das Geld gebraucht. Dann aber kommt die interessante Reihe Ilse Aichinger (1955), Ingeborg Bachmann (1957), Paul Celan (1958) und Günter Grass (1960) – und, mittendrin als Politikum, der Preis für Ernst Jünger (1956), der zum Zeitpunkt der Ehrung, im übrigen die erste Ehrung dieser Art für Jünger überhaupt, schon 60 Jahre alt war. Das waren Signale in der Bundesrepublik der Adenauerzeit und ihrem kulturellen Selbstverständnis, die aufhorchen ließen. Schließlich hatten sowohl Aichinger, als auch Bachmann, Celan und Grass mindestens einmal in der Gruppe 47 gelesen. Man kann schon sagen, dass es bemerkenswert war, dass sich gerade eine eher behäbige, traditionsbewusste freie Hansestadt über die Vergabe dieses Literaturpreises ausgerechnet mit den jungen linken Oppositionellen solidarisierte. Bei Grass hat es ja schließlich 1959/60 zu dem Eklat geführt, dass ihm entgegen dem Vorschlag der Jury der Preis vom Senat nicht verliehen wurde. Aber ansonsten kann man sagen, dass der Preis für die junge deutschsprachige Literaturszene in der Nachkriegszeit ungemein wichtig war. Nicht einmal der Büchnerpreis hat damals so viel Mut gezeigt.

Sie haben für die Dokumentation des Bremer Literaturpreises die Protokolle der Sitzungen gelesen, in denen die Preisträger gekürt wurden. Waren die erwähnten Preisträger umstritten?

Umstritten waren sie alle. Aichinger etwas weniger, bei Ingeborg Bachmann hatte Rudolf Alexander Schröder ihre Jugend und ihre vielleicht doch nur Nebenbegabung zu bemängeln. Aber das war kein Politikum. Um diese Streitereien besser zu verstehen, sollte man einen Blick auf die Zusammensetzung der damaligen Jury werfen. Ihr gehörte neben Persönlichkeiten aus Bremen der renommierte Literaturhistoriker Benno von Wiese an – freilich auch er mit einer braunen Vergangenheit, von der er selber nicht sprach. Das taten dann erst die 68er. Dann war da Erhart Kästner, ein wichtiger Prosaautor. Und schließlich Rudolf Hirsch, der damals Cheflektor im Fischer-Verlag war: ein deutscher Jude, der auch in der Emigration gewesen war. Das waren die drei Persönlichkeiten, die neben Rudolf Alexander Schröder wichtig waren in der Jury der 50er Jahre. Und die drei hatten so viel Selbstbewusstsein, dass sie sich wiederholt mit Schröder angelegt haben. Denn Schröder war es immer wieder, der Ilse Aichinger, Bachmann oder Celan zu verhindern suchte. Als es dann um Grass ging, war Schröder nicht mehr Mitglied der Jury. Er war durch Manfred Hausmann ersetzt worden, der aber die Schröder-Linie eines konservativen Literaturverständnisses ohne Abstriche weiter verfolgte und über dessen ebenfalls braune Vergangenheit es in jüngster Zeit ja einige Aufregung gegeben hat. Bei Celan ist die Frontenbildung, die es in der Jury gab, durchaus als Politikum zu begreifen. Hirsch, Kästner und von Wiese standen da gegen Schröder. Schröder räumte zwar ein, dass Celan ein begabter Lyriker sei. Aber er hielt ihn für elitär, abgehoben von einem volkstümlichen Literaturverständnis, wie es ihm als Idee vorschwebte. In einem Brief hat Schröder sogar das Argument vorgebracht, so einem Mann wie Celan sollte man nicht einen aus Steuermitteln finanzierten Preis verleihen, der doch gerade signalisiere, dass eine Verbindung zwischen dem Volk und seinen Dichtern bestehe. Und zwischen Celan und dem deutschen Volk bestünde nunmal keine solche Beziehung. Er hat dann noch angefügt, er wisse, dass dieser Mann mit Geldnot zu kämpfen habe und man solle über Möglichkeiten nachdenken, ihn aus einem anderen Fond zu unterstützen. Aber insgesamt hatte Schröder eben ein Preisverständnis, in das ein schwer zugänglicher und ernster Lyriker wie Celan nicht passte.

War denn die politische Haltung der Gruppe-47-Autoren kein Stein des Anstoßes?

Das hat auf jeden Fall bei Grass eine Rolle gespielt. Bei den anderen noch nicht so. Celan hatte nur einmal 1952 bei der Gruppe 47 gelesen. Den konnte man 1958, als er zur Debatte stand, nicht mehr mit der Gruppe 47 identifizieren. Ich würde an diesem Punkt auch vorsichtig sein. Man kann Schröder bestimmt keinen Antisemitismus unterstellen, und es gab auch keine Direktive von ihm, Autoren der Gruppe 47 nicht auszuzeichnen. Das kann man eher als heimliche Politik bezeichnen, die ein Teil der Jury verfolgt hat. Erst 1987, als ich aus Anlass der ersten Dokumentation des Bremer Literaturpreises die Juryprotokolle und Briefwechsel gelesen habe, ist mir diese problematische Rolle Schröders in der Jury bekannt geworden. Paul Celan etwa ist es nie zu Ohren gekommen, dass Schröder massiv versucht hat, ihn als Preisträger zu verhindern. Er war voller Verehrung für Schröder, weil er ein Dichter der Inneren Emigration und vor allem kein Nazi war. Der ganzen Situation ist schon eine tragische Ironie eigen. Dagegen war die Ablehnung von Grass durch den damaligen SPD/FDP-Senat deutlicher politisch motiviert. Letztlich ging es darum, dass Grass vorgeworfen wurde, er sei ein Zersetzer, der mit der „Blechtrommel“ die guten Sitten und die Reinheit der Seelen gefährdete, indem er über Sexualität in einer Weise offen schrieb, die man der eigenen Jugend und wohl sich selber nicht zumuten wollte.

Wieso hat der Preis seine Funktion, die literarische Avantgarde auszuzeichnen, mit der Zeit verloren? Wie kam es zu diesem Bruch?

Ich glaube nicht, dass man von einem Bruch sprechen kann. Im Laufe der 60er Jahre haben sich ohnehin im Literaturbetrieb weniger konservative und mehr liberale und linke Schriftsteller auf breiter Front durchgesetzt. Insofern konnte der Preis in dieser Zeit nicht mehr eine solche Pionierrolle spielen wie zu Beginn. Das sehen Sie schon daran, dass auch in den 60er und 70er Jahren mit Christa Reinig, Thomas Bernhard oder Christian Enzensberger Autoren ausgezeichnet wurden, die erst durch die Auszeichnung bekannter wurden, ohne dass diese Entscheidungen einen Wirbel verursacht hätten wie jene der 50er Jahre. Wenn Sie so wollen – und das ist die Ironie einer gutgemeinten guten Tat – ist ein Bruch eingetreten, als 1976 der Förderpreis für den literarischen Nachwuchs eingerichtet wurde. Denn von da an war der Hauptpreis darauf festgenagelt, renommierten Autoren nochmals ihr Renommée zu bestätigen. Der Förderpreis dient ja gerade dem Zweck, unbekannteren Autoren ein wenig Ruhm zu verschaffen und ihnen so zu helfen. Was bleibt da noch für den Hauptpreis? Es ist geradezu ausgeschlossen, dass ein Mensch um 30 Jahre oder gar jünger den Preis bekommt.

Wieso wurde der Hauptpreis derart geschwächt?

Man hat sich nicht klar gemacht, dass das diese Folge haben würde. Die Schaffung des Förderpreises war wirklich gut gemeint im Sinne einer sozialen Hilfsmaßnahme für junge Literatur. Von daher ist das eine lobenswerte Idee gewesen, deren Konsequenzen für den Nimbus des Hauptpreises nicht mitbedacht worden sind. Man muss allerdings betonen, dass bei keinem der großen deutschen Literaturpreise seit den 70er Jahren noch Pionierarbeit geleistet wurde. Hinzu kommt, dass es generell zu viele Preise gibt. Und jeder ist bestrebt, sehr gute Schriftsteller auszuzeichnen. Natürlich auch, um aufzufallen mit der Auszeichnung. Der Effekt ist bekannt: Kaum ein Dichter ist mehr vor irgendeinem Preis sicher, und keiner der Preise besitzt mehr ein unverwechselbares Profil.

Ist es denn seit der Einführung des Förderpreises nicht auch so, dass der Hauptpreis in den Dienst des Bremen-Marketings genommen wurde, in dem man auch mal Schriftsteller wie Peter Handke auszeichnete, in deren Ruhm sich auch die Stadt Bremen sicherlich gern gesonnt hat?

Diese Gefahr ist da gewesen. Es hat zum Beispiel in der Zeit meiner Jurymitgliedschaft einen Kultursenator namens Horst Werner Franke gegeben, der auf seine Weise der Jury zu verstehen gab, dass der Preis doch zukünftig mehr dem Renommée der Stadt zu dienen habe. Die Jury hat dann sehr irritiert und abweisend auf dieses Ansinnen reagiert. Von den zehn Jahren bis 1987, aus denen ich die Arbeit der Jury aus eigener Anschauung kenne, kann ich aber sagen, dass sie völlig autonom war. Dass 1988 ein anerkannter Autor wie Handke den Preis bekommen hat, ist in der Tat ein wenig irritierend, insofern erstmals mit der ungeschriebenen Regel gebrochen wurde, einem Büchner-Preisträger nicht auch noch den Bremer Literaturpreis zu verleihen. Unabhängig von den unbestrittenen literarischen Qualitäten Handkes hat diese Auszeichnung wenig gemein mit dem Ansinnen, die Aufmerksamkeit auf ein Werk zu lenken, das bis dahin noch nicht angemessen gewürdigt worden ist. In den letzten zehn bis zwölf Jahren sehe ich aber auch mutige Entscheidungen bei der Vergabe des Hauptpreises. Ich denke da zum Beispiel an Ingomar von Kieseritzky und Ror Wolf, die eher witzige, skurrile, experimentelle Texte schreiben und nicht auf der Hauptstraße des Literaturbetriebs marschieren. Auch mit Georges-Arthur Goldschmidt, Michael Roes und Einar Schleef wurden potente Einzelgänger geehrt, die sich stilistisch und thematisch abseits vom Mainstream bewegen. Das ist im Prinzip auch der richtige Weg. Nur so behält der Preis seine Bedeutung und gewinnt immer wieder an Kontur. Fragen: Franco Zotta

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