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De Niro bat um Pinkelpause

■ Exciting: Gestern wurde der zweite Bremer Filmpreis an die französische Filmemacherin Agnès Varda verliehen

Im letzten Jahr war es einfacher. Denn jeder kannte Bruno Ganz, den Preisträger des ersten Bremer Filmpreises. Und weil er in seiner wilden Jugend zum Ensemble des Bremer Theaters gehörte, waren auch die Lokalpatrioten zufrieden. Jetzt wird der Preis (wie es sich gehört) von einer kompetenten Jury verliehen. Lokale Vorlieben werden also nicht bedient, und die diesjährige Preisträgerin Agnès Varda ist folglich eher den Cineasten bekannt. Sie selber ist „überrascht und amüsiert“ über diese Auszeichnung, so sagte sie bei ihrem kurzen Besuch in Bremen, dessen Höhepunkte eine spannende und schöne Pressekonferenz am Freitag Morgen und eine frei improvisierte Dankesrede voller Esprit in der Rathaushalle waren.

„Unwirklich“ erschien Varda die ganze Veranstaltung. Von Bremen kenne sie nur die Stadtmusikanten, und bei diesem Märchen habe sie nie geglaubt, dass die Katze wirklich einem Hahn gestattet hätte, auf ihr zu sitzen. Sie habe noch kurz vor ihrer Anreise mit ihren beiden Katzen herumexperimentiert, und es sei sehr unwahrscheinlich.

So plauderte die kleine, sehr patent und lebensfroh wirkende Frau klug, charmant und schnell (zwei Übersetzer hatten schwer zu tun) über ihre Arbeitsweise, ihre Filme und ihre Philosophie. Die 1928 in Brüssel geborene Agnès Varda nennt sich selbstironisch „die Großmutter der Nouvelle Vague“. Ihr Debüt „La Pointe Courte“ von 1954 gilt als der erste Film der französischen neuen Welle. Das Credo von Agnès Varda war immer, dass ein Filmemacher soviel Freiheit bei seiner Arbeit haben müsse wie ein Romanautor. Darum macht sie vom ersten Drehbuchentwurf über die Produktion und Regie bis zur Postproduktion alles selbst. „Cinécriture“ nennt sie diese radikale Art des Arbeitens. Und zu ihrer Vorliebe für selbst eingesprochene Kommentare sagte sie: „Auch wenn der Film schließlich fertig das Studio verlässt, will ich ihn noch ein wenig auf seinem Weg begleiten.“

Am erfolgreichsten war Agnès Varda in Deutschland mit dem Film „Vogelfrei“, in dem sie vom langsamen, unaufhaltsamen Sterben einer jungen Streunerin erzählt, die unglaublich intensiv und authentisch von Sandrine Bonnaire verkörpert wird. Dieser Film wird leider nicht in der kurzen Reihe mit ihren Werken gezeigt, die in der nächsten Woche im Kino 46 laufen.

Ein Grund, warum Agnès Varda nicht so bekannt wurde wie ihre Kollegen Godard, Truffaut und Rohmer liegt darin, dass sie sich nie wiederholen wollte, also nie ein Erfolgsrezept wiederverwendete. Sie hätte zum Beispiel in den frühen 60er Jahren nach ihrem künstlerischen Durchbruch mit „Cléo de 5 á 7“ leicht weiter genau beobachtete Porträts von Frauen in Krisensituationen drehen können. Aber solch eine künstlerische Nische hat sie nie interessiert. Der kommerzielle Erfolg ihrer Filme scheint sie wenig zu kümmern. So sind etwa ein Drittel ihrer gut dreißig Werke Kurzfilme, die in Kinos überhaupt keine Chance haben. „Es gibt ja auch keinen Schriftsteller, der sich darauf festlegen lässt, nur noch 200 Seiten lange Bücher zu schreiben!“

Allein schon wegen solcher schönen Aussprüche hat es sich gelohnt, den Preis an Agnès Varda zu verleihen. Und deshalb verzichte ich jetzt auf eine tiefschürfende Analyse ihres Werkes und erzähle statt dessen lieber ihre amüsanteste Anekdote: Bei ihrem bisher letzten Film „101 nuit du cinema“ war Robert de Niro für einen Drehtag nach Frankreich gekommen. Nach drei Stunden Vorbereitung war es endlich Zeit für die Aufnahmen. Kurz vor der Klappe fragte der Megastar aus Hollywood die Regisseurin ganz brav, ob er vorher noch kurz pinkeln gehen dürfe. Dies habe sie „sehr glücklich gemacht. Trotz aller Schwierigkeiten, Rückschläge und Strapazen ist das Filmemachen ein sehr schöner Beruf!“

Wilfried Hippen

Eine Varda-Filmreihe läuft in der nächsten Woche im Kino 46. Titel, Termine und Kurzkritiken stehen am Donnerstag in der Kinotaz

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