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„Wie soll ich diese Republik lieben?“

Morgen erhält der Antifaschist Fritz Bringmann in Hamburg das Bundesverdienstkreuz. Der ehemalige Häftling des KZ Neuengamme kämpft seit 50 Jahren für eine würdige Gedenkstätte  ■ Von Elke Spanner

Dieses Mal, lacht Fritz Bringmann, ist er gar nicht mehr gefragt worden, ob „ich das Ding noch haben will“. Vor sieben Jahren, als der damalige Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) ihn für das Bundesverdienstkreuz vorschlug, hatte Bringmann eingehend mit Freunden und politischen Weggefährten darüber diskutiert, ob er sich von dieser Bundesrepublik als Antifaschist ehren lassen soll. Letztendlich lag die Entscheidung nicht bei ihm, sondern beim damaligen Bundesinnenminister Rudolf Seiters und dessen Nachfolger Manfred Kanther (CDU): Die weigerten sich. Bringmann ist Kommunist.

Am Mittwoch bekommt er die Medaille von Bürgermeister Ortwin Runde im Rathaus nun doch verliehen. Der 81-Jährige, der in einem Dorf bei Neumünster wohnt, nimmt sie an – mit leichten Bauchschmerzen. Einerseits will er mit seiner Ehrung AntifaschistInnen ermuntern, sich weiterhin zu engagieren. Andererseits weiß er, dass der Orden auch vielen ehemaligen Nazis an die Brust geheftet wurde. Außerdem haben damals zwei VerdienstkreuzträgerInnen ihren Orden aus Protest zurückgegeben, als Bringmann die Ehrung verweigert wurde. Die Solidarität hatte ihm gut getan – und bereitet ihm ein ungutes Gefühl dabei, sich heute als Antifaschist auszeichnen zu lassen.

Doch Genugtuung verrät der Schalk in seinen Augen auch. Jahre seiner Jugend hat Bringmann in Konzentrationslagern verbracht. Der 17-Jährige wurde im Mai 1935 in Lübeck von der Gestapo verhaftet, als er antifaschistische Parolen auf eine Wand pinselte. Wegen Hochverrates kam er zunächst zwei Jahre in Haft, anschließend ins Konzentrationslager Sachsenhausen. Vier Jahre war er dort, dann weitere fünf Jahre im KZ Neuengamme bei Hamburg. Selbst in den Lagern leistete er Widerstand. Als Häftlingspfleger widersetzte er sich dem SS-Befehl, russischen Kriegsgefangenen tödliche Spritzen zu geben.

Seit der Befreiung 1945 ist er in der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN)“ und der Organisation der KZ-Überlebenden „Amicale Internationale de Neuengamme (AIN)“ aktiv – bis heute.

Bringmann stützt sich auf den Tisch seines Arbeitszimmers und lehnt sich dann doch wieder zurück, weil er beide Arme zum Gestikulieren braucht. Fragen beantwortet er grundsätzlich mit Geschichten. Zur Aufarbeitung des Faschismus im Nachkriegsdeutschland fällt ihm ein Flugblatt ein, für das er von der englischen Besatzungsmacht verurteilt wurde: „Hitler ging, die Nazis blieben – in Behörden und Betrieben“ stand darauf. Spöttisch lacht er auf die Frage nach der Aufarbeitung der Geschichte durch die deutsche Gesellschaft auf, eindeutig ist für ihn die Antwort – die er wieder mit einem Beispiel gibt: Die Bundeswehr, sagt Bringmann, wurde mit ehemaligen SSlern aufgebaut.

Skeptisch steht er auch den Versuchen der derzeitigen Bundesregierung zur Geschichtsaufarbeitung gegenüber: Das geplante Holocaust-Mahnmal in Berlin, sagt Bringmann, soll „nicht an alle NS-Opfer erinnern“. Roma und Sinti sowie kommunistische Widerstandskämpfer würden mit dem Denkmal nicht geehrt – und die Kategorien, die damals im KZ geschaffen wurden, dadurch aufrechterhalten. Zum Entschädigungsfonds für ehemalige NS-ZwangsarbeiterInnen erinnert er sich an eine Frau aus der Ukraine, mit der er über die Vergangenheit sprach. Er sagte, es müssten Gedenkstätten errichtet werden. Sie erwiderte: „Wir brauchen Brot und Medikamente.“

Als großen Erfolg seiner Arbeit kann Bringmann verbuchen, dass das Gefängnis auf dem Gelände des ehemaligen KZ Neuengamme verlegt werden soll – wenn er auch über fünfzig Jahre darum kämpfen musste. Seit der Knast im ehemaligen Schutzhaftlager gebaut wurde, hatte die „Amicale Internationale“ gefordert, stattdessen dort eine würdige Gedenkstätte zu errichten. Bis heute steht das Gefängnis noch. Erst 2003 soll ein Alternativbau errichtet sein. Trotzdem kann sich Bringmann darüber freuen: „Wir sind immer gezwungen gewesen, mit kleinen Schritten zufrieden zu sein.“

In seinen Erzählungen muss sich Bringmann selber immer wieder bremsen. Wenn er merkt, dass er sich in der Vergangenheit verliert, lacht er kurz auf, winkt ab und ermahnt sich selbst, „das führt jetzt vielleicht zu weit“. Ein einziges Mal nur legt er eine lange Gedankenpause ein. Auf die Frage, ob er sich Sorgen über das Entstehen eines neuen Faschismus in Deutschland macht. Und wieder antwortet er mit einer Geschichte. Seit Jahren fordern AntifaschistInnen, die Aufmärsche von Neonazis zu verbieten, „damit allein ist es zwar nicht getan, aber Gründe dafür gibt es trotzdem genug“. Erst vor wenigen Wochen, erinnert er dann, wurde in Berlin die Demonstration zu Ehren von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verboten. „Ich mache mir große Sorgen, berechtigte Sorgen“, resümiert Bringmann. Und fragt: „Wie soll ich diese Bundesrepublik lieben?“

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