: „Dein Gehirn arbeitet ständig daran“
■ Von Abschiebung bedrohte Ausländer in Berlin leben in ständiger Angst vor der Polizei. Eine vom katholischen Erzbistum präsentierte Broschüre dokumentiert die Erfahrungen der „Illegalen“. Darin schildert ein 26-jähriger Liberianer seine Eindrücke
Das folgende Interview ist stark gekürzt aus der gestern vorgestellten Broschüre „Betrifft: Migration – Illegal in Berlin“ entnommen. Joe wurde 1974 in Liberia geboren. 1991 ist er vor dem Bürgerkrieg in Liberia nach Deutschland geflohen. Seit April 1995 wohnt er ohne Papiere in Berlin.
Was bedeutet Illegalität im Alltag? Hast du keine Angst, ohne Papiere herumzulaufen?
Joe: Jemandem zu vertrauen ist schwer. Du musst aufpassen, mit wem du sprichst und über welches Thema. Wenn du mit jemandem sprichst, musst du hoffen: Der hat Mitleid mit mir. Der geht nicht zur Polizei und verrät mich. Jeder kann mich irgendwann verraten. Aber ich glaube, dass es immer einen Ausweg gibt.
Hat dich schon mal jemand verraten?
Ja, natürlich. Deswegen war ich in Abschiebehaft. Meine deutsche Freundin hat mich verraten. Das war 1991. Ich war krank, mein Blinddarm musste raus. Wenn du krank bist, musst du ins Krankenhaus gehen. Und wenn du keinen Krankenschein hast, musst du eben einen besorgen. Ich hatte einen besorgt von einem Kumpel. Meine Freundin hat davon gewusst. Kurz nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus hatten wir einen Streit. Da hat sie die Polizei angerufen und mich verraten. Deshalb war ich für neun Monate in Abschiebehaft. Sie haben mich damals entlassen, weil sie mich nicht abschieben konnten: In meinem Heimatland ist Bürgerkrieg, und es gab keinen Flug dorthin.
Daraus hab' ich viel gelernt: dass ich – egal, ob du meine Freundin bist oder ein Fremder – erst einmal gucken muss, wer du bist und wie du bist. Und ich muss dich manchmal ärgern und provozieren und schauen, wie du reagierst. Erst wenn du so einen Test bestehst, weiß ich: Ich kann dir vertrauen.
Versuchst du, dir falsche Papiere zu besorgen?
Als ich noch nicht festgenommen war, konnte ich mit falschen Papieren von einem Kollegen rumlaufen. Aber jetzt will ich nicht mehr, weil manchmal kannst du auch einem Polizisten begegnen, der merkt den Schwindel und sagt: Das da auf dem Pass, das ist nicht dein Foto. Und dann gibt's Schwierigkeiten für den echten Papierinhaber. Ich hab’ jetzt gesagt: wenn ich Probleme habe, dann hat das nur etwas mit mir zu tun. Ich möchte da keinen anderen reinziehen.
Und was machst du, wenn du in eine Polizeikontrolle gerätst?
Das passiert nicht so oft. Ich passe auf mich auf. Es gibt Orte, an denen es mehr Kontrollen gibt, zum Beispiel am Hermannplatz oder am Zoo. Trotzdem bin ich schon zwei- oder dreimal erwischt worden. Aber sie haben mich immer wieder laufen lassen. Vielleicht, weil ich schon neun Monate in Abschiebehaft war. Wenn ich kontrolliert werde, sage ich einfach meinen Namen. Im November 1997 zum Beispiel wurde ich auf der Straße festgenommen. Kam wieder aufs Revier. Sie haben in ihren Computer geguckt – und mich wieder entlassen.
Einfach so laufen lassen?
Nee. Er hat in den Computer geguckt und meinen Fingerabdruck genommen ... Und weißt du, was rauskam? Ich sollte seit 1988 in Deutschland sein (lacht). 1988 war ich gerade mal 14 Jahre alt und noch in Afrika. Ich hab nur gelacht. Dann haben wir gewartet, was für eine Meldung vom BKA in Wiesbaden kommt. Da war ich plötzlich doch erschrocken: Da kam ein ganz anderer Name. Der Fingerabdrucktest bringt nicht immer die Wahrheit. Ich kenne zum Beispiel eine Frau in Frankfurt (Oder). Die wurde festgenommen. Und der Fingerabdruck ergab: Sie sollte eine Vietnamesin sein. Aber sie war eine Afrikanerin. Und trotzdem ist sie jetzt schon drei Wochen im Knast – als Vietnamesin.
Aber dich haben sie wieder freigelassen?
Ja. Sie haben dann doch die Akte dieses Mannes, der ich sein sollte, zum Vergleichen geholt. Dann haben sie nur Entschuldigung gesagt und mich wieder entlassen. Aber Angst habe ich trotzdem immer. Ich hab' zum Beispiel im Radio gehört: Es gibt 300.000 Illegale hier oder sogar noch mehr. Und die deutsche Ausländerbehörde möchte mit vielen Konsulaten und Botschaften zusammenarbeiten, damit es einfacher wird, diese Leute abzuschieben. Die Gefahr besteht immer. Es ist nicht einfach, als Illegaler hier zu leben. Deine Gedanken beschäftigen sich ständig damit. Wenn ich ein grünes Auto neben einem weißen Auto sehe, verbinden meine Augen beide – zu einem Polizeiauto. Dein Gehirn arbeitet ständig daran. Weil du alle fünf Minuten die Polizei triffst. An jeder Ecke ist ein Polizist. Es gibt viele Leute, die trauen sich nicht aus dem Haus.
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