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Lila Dalmatiner als Hauptgewinn

„Brigitte“ freut sich: Karen Duve, Michael Müller, Ulf Stolterfoht und die einstige Jurorin Katja Lange-Müller eröffneten die Reihe „Open-Mike-Preisträger“ in der Literaturwerkstatt

Ja, wer würde denn nun den Auftragstext der Zeitschrift Brigitte annehmen, in dem ein Dalmatiner und die Farbe Lila vorkommen müssen? Die Frage geisterte am Montagabend durch die Räume der Literaturwerkstatt. Dort hatte man die Idee, die Open-Mike-PreisträgerInnen der Jahrgänge 1993 – 95 mit je einem Mitglied der damaligen Jury aufeinandertreffen zu lassen.

Am ersten Abend lasen die Hamburger Schriftstellerin Karen Duve und ihre 94er-Klassengefährten Michael Müller und Ulf Stolterfoht. Dazu kam die einstige Jurorin Katja Lange-Müller, die mit ihrer Lila-Dalmatiner-Frage die Doppeldeutigkeit der Lesereihe auf den Punkt brachte: So sollte es nicht nur darum gehen, wie die Texte der damals Prämierten heute wirken, sondern auch, wie sich das Verhältnis der AutorInnen zum Literaturbetrieb gestaltet.

Ulf Stolterfoht meinte, er hätte überhaupt nichts dagegen, einen Auftragstext anzunehmen. Nur: Seine Gedichte sind nicht gerade tauglich für eine Zeitung wie die Brigitte. Seine Beschäftigung mit den Schattenseiten der deutschen Geschichte (Heidegger, Jünger, Drittes Reich) pendelt zwischen Ekel und Faszination. Mit einer Sensibilität für Sound und mit Rhythmen, die für seine Themen ungeheuer leicht swingen, formt er eine elegante Sprache des Unbehagens. Nachzulesen ist sie in der Einzelveröffentlichung „fachsprachen I-X“ (Edition Urs Engeler).

Für den Berliner Germanisten Michael Müller lief es nach dem Gewinn des Open Mike nicht rund. Sein Wettbewerbstext zerbrach ihm nach eigener Aussage in der Nachbearbeitung, was zu einer längeren Textkrise führte. Doch kündet seine Bearbeitung des Andersen-Märchens „Der Schatten“ nicht von Erholung. Wo Müller von den verschiedenen Ebenen seines Textes zur Hierarchisierung gezwungen wird, behandelt er sie alle gleich: Langatmigkeit ist die Folge. Und das trotz der schönen Idee, zwei Männer über das Ende eines Märchens streiten zu lassen.

Karen Duve dagegen hat durch den Gewinn des Open Mike Zugang zu namhaften Verlagen erhalten, verzettelte sich aber in Folge zwischen Brigitte-Dalmatinern und Zeit-Fortsetzungsromanen. Deshalb sucht sie jetzt Abstand zum Betrieb. Den suchte auch Katja Lange-Müller und stellte tapfer Fragen, die sich auf die jeweilige Textualität der Einzelbeiträge bezog. Denn als Klammer eines Literaturabends taugten die Kategorien „Sieg in einem Literaturwettbewerb“ und „Wettbewerbsjahrgänge“ überhaupt nicht. Zu unterschiedlich waren die Sprechweisen der drei Schriftsteller, zu wenig Berührungspunkte gab es da. Eine geschickte Werbeidee für die kommenden Open Mikes ist dieses Konzept aber allemal. Und zu guter Letzt ist schließlich ein etablierter Wettbewerb auch für alle teilnehmenden AutorInnen von Nutzen – Brigitte freut sich schon auf die nächsten SiegerInnen.

Christoph Braun

Open-Mike-PreisträgerInnen 1993 – 1995 in der Literaturwerkstatt Berlin, Majakowski-Ring 46 – 48, Pankow. Heute lesen ab 20 Uhr: Julia Franck, Christian Futscher und Sabine Neumann. Morgen: Tim Krohn, Kathrin Röggla und Wolfgang Schlenker.

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