■ Dreißig Jahre lang wurde Österreich von einer großen Koalition aus sozialdemokratischer SPÖ und konservativer ÖVP regiert. Das scheint vorbei: Neue Verhandlungen sind gescheitert. Die SPÖ will in der Minderheit regieren, die ÖVP mit der rechtsextremen FPÖ
: „Haider“ heißt jetzt „hoffähig“

Die politische Nachkriegsordnung Österreichs, die von den Christdemokraten und Sozialdemokraten getragen wurde, ist endgültig eingestürzt. In einem wahren Wettlauf zum Bundeskanzleramt versuchen die drei großen Parteien SPÖ, ÖVP und FPÖ parallel und gegeneinander arbeitsfähige Regierungen zusammenzustellen. Einen Auftrag von Bundespräsident Thomas Klestil zur Regierungsbildung hat nur der SPÖ-Vorsitzende, Bundeskanzler Viktor Klima, dessen Koalitionsgespräche mit der ÖVP vergangenen Freitag geplatzt sind. Er bemüht sich, bei den anderen Parteien die Duldung einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung auszuhandeln. Hingegen scheint ein Pakt von ÖVP und FPÖ schon fast perfekt.

SPÖ und ÖVP, deren Vorgängerorganisationen ihre Differenzen 1934 in einem Bürgerkrieg ausgetragen und damit den Weg zur Machtübernahme der Nazis bereitet hatten, teilten nach 1945 alle Machtpositionen der Zweiten Republik untereinander auf. Das Proporzsystem, das von klientelistischen Praktiken bis zur Vergabe von Schuldirektorposten unterfüttert ist, sorgte jahrzehntelang für politische Stabilität. Auch die Phasen der Alleinregierung (ÖVP: 1966 – 1970, SPÖ: 1970 – 1983) konnten das System nicht ins Wanken bringen. Aber was die Koalition in den letzten Jahren zusammenhielt, war nur mehr das gemeinsame Interesse, den rechtspopulistischen Aufsteiger Jörg Haider von der Macht fernzuhalten. Dass die neuen Koalitionsverhandlungen von SPÖ und ÖVP 110 Tage nach den Wahlen dennoch scheiterten, zeigte jedoch, dass die langjährigen Partner einander nichts mehr zu sagen haben – obwohl oder vielleicht weil sie einander inhaltlich viel zu ähnlich geworden sind.

Um die sich abzeichnende Schlappe in letzter Sekunde abzuwehren, hatte die ÖVP kurz vor den Wahlen gelobt, in Opposition zu gehen, wenn sie von Haiders FPÖ überrundet würde. Tatsächlich erhielt die ÖVP bei den Wahlen am 3. Oktober dann 415 Stimmen weniger als die FPÖ – aber genauso viele Mandate im Nationalrat. Gleichzeitig hatte Bundeskanzler Klima jeder Form der Koalition mit den Freiheitlichen eine Absage erteilt. So war die Regierungsbildung von Anfang an schwierig. Für Rot-Grün reichen die 14 Mandate der Grünen nicht, und so war Klima als Chef der stimmenstärksten Partei von Anfang an darauf fixiert, den bisherigen Partner ÖVP aus dem Schmollwinkel zu holen.

Als Wolfgang Schüssel schließlich mehr als zwei Monate nach den Wahlen doch Gespräche mit der SPÖ aufnahm, konnte er seine Bedingungen diktieren. Das Koalitionspapier, das nach vier Wochen zäher Verhandlungen vorgestellt wurde, trägt deutlich die Handschrift der Konservativen – und rief bei Jusos und Gewerkschaften Proteste hervor. Als die ÖVP schließlich verlangte, auch die Gewerkschafter sollten das Papier durch ihre Unterschrift absegnen, platzte das Abkommen.

Ein am Montag bei Klestil deponiertes Angebot von Jörg Haider, er würde ein Minderheitskabinett Klima tolerieren, wenn die Freiheitlichen einige Ministerien besetzen dürften, stieß bei der SPÖ auf keine Gegenliebe. Finanzminister Edlinger schloss eine solche Verbindung kategorisch aus: „Beide Parteien müssten zu sehr über ihren Schatten springen.“

In der SPÖ glauben mittlerweile auch die unverbesserlichen Optimisten nicht mehr an die Lebensfähigkeit einer Minderheitsregierung. Wiens Bürgermeister Michael Häupl, einer der engsten Vertrauten von Präsident Klestil, sagte: „Ich breche nicht in Jubel aus über eine ÖVP-FPÖ-Regierung. Aber man muss demokratische Mehrheiten, die es in einem Lande gibt, auch anerkennen.“ Kein Wunder, dass in der größten Partei, die sich nach 30 Jahren an der Macht auf die ungewohnte Oppositionsrolle zusteuern sieht, ein Richtungsstreit ausgebrochen ist. Zwar spricht noch keiner offen davon, den glücklosen Parteichef Viktor Klima abzulösen, doch versuchte sich Innenminister Karl Schlögl bereits als Nachfolger zu profilieren, als er auch einen Pakt mit den Freiheitlichen nicht mehr ausschloss. Schlögl, der mit restriktiven Ausländergesetzen und beinharter Abschiebepraxis den Zuzug von Migranten drastrisch gedrosselt hat, wird von Haider schon lange als „unser bester Mann in der Regierung“ gefeiert.

Ralf Leonhard, Wien