Wie das Web das Glotzen lernt

■ Die Fusion von Internet und Fernsehen steckt bis jetzt noch in der Testphase

Die Namen sind Symbole. Seit der Fusion des Onlinedienstes AOL mit dem Konzern Time Warner zweifelt kaum noch jemand daran, dass damit auch die beiden Medien des Internets und des Fernsehens miteinander verschmelzen werden. Weit weniger klar ist indessen, welche Technik dabei zum Einsatz kommt. Die Schwierigkeiten sind größer als gemeinhin vermutet, denn digitales Fernsehen allein ist noch kein Internet, und das Internet wiederum ist, technisch betrachtet, das genaue Gegenteil des Fernsehens.

Wer jemals auf seinem PC versucht hat eine winzig kleine Videosequenz aus dem Internet anzuschauen, kann sich leicht einen Begriff des Problems machen. Es genügt, die Anzeige für die eingehenden Daten zu betrachten: Das Ruckelbildchen frisst offenbar die Bits aus dem Netz gleich kiloweise in sich hinein, während der Computer nur ab und zu ein paar Datenpakete abschickt. Der „Downstream“ ist regelmäßig um Größenordnungen stärker als der „Upstream“. Und doch sind beide für den Datenfluss im Internet gleichermaßen notwendig. Der Server schickt seine Datenpakete – in diesem Fall das Video –, wenn der Computer am anderen Ende sie angefordert und ihren Empfang bestätigt hat. Allein dieser ständig wiederholte Dialog der Maschinen kostet Zeit, und dazu kommt, dass der jeweilige Server mit jedem einzelnen seiner Kunden ebenso verfährt. Wer immer sich ins Netz einwählt, wird individuell bedient, auch dann, wenn er zufällig zur selben Zeit dasselbe bestellt wie sein Nachbar. Folglich wächst mit der Menge der Internetnutzer auch die Menge der Daten, die übertragen werden müssen.

Die Werbung läuft im Web, der Film beibt im Fernsehen

Diese oft als Anarchie missverstandene Gleichbehandlung aller Kommunikationsteilnehmer unterscheidet das Internet von allen anderen Medien. Für das Fernsehen (wie auch für das Radio) stellt sie jedoch eine kaum zu überwindende Schranke dar. Ob jemand sein Empfangsgerät einschaltet oder nicht, ändert nichts an der Datenmenge, die über den Sender ausgestrahlt wird. Sie bleibt immer gleich, auch dann, wenn die Daten selbst nicht mehr analog, sondern digital codiert sind.

Nun hatte kein noch so militanter Propagandist des Web-Fernsehens bisher angenommen, dass etwa die „Tagesschau“ oder die „Lindenstraße“ jedem Zuschauer persönlich zugestellt wird. Jedes noch so leistungsfähige Netz bräche unter der Last millionenfach vervielfältigter Kundenwünsche zusammen, wenn sie mit der Methode des Internets befriedigt würden. Die Ansprühe der Medienkonzerne sind bescheidener, und bei Licht betrachtet bestehen die meisten bis heute vorgestellten Konzepte des so genannten interaktiven Fernsehens nur darin, konventionell ausgestrahlte Sendungen durch Angebote im Web zu ergänzen, etwa durch Chatkanäle, die nach oder während der Sendung geöffnet sind, durch zusätzliche Hintergrundinformationen oder schlicht durch Programmhinweise, die online abrufbar sind.

Für die Vermarktung von Medien aller Art mag das Internet in Zukunft unverzichtbar sein, und Börsenanalysten sind mehrheitlich davon überzeugt, dass allein aus diesem Grund die Fusion von AOL und Time Warner erfolgreich wird. Vielleicht werden AOL-Kunden schon bald bereits beim Einwählen ins Netz mit den neusten Filmen und Musiktiteln des Konzerns bekannt gemacht. Von einer technischen Fusion der Medien kann damit jedoch keine Rede sein. Möglich ist sie dennoch, und seit etwa vier Jahren arbeitet eine kleine Schweizer Firma in Zug an der Lösung des Problems. Verheißungsvoll hat sie sich selbst „The Fantastic Corporation“ genannt. Inzwischen ist sie weltweit tätig und kann auf eine beachtliche Liste von Kooperationspartnern verweisen, darunter die deutsche, britische und italienische Telekom. Sie alle haben das System der Schweizer zu Testzwecken bereits installiert, die deutsche Telekom bietet es seit 1998 über das Astra-Satellitennetz an.

Was fehlt, sind die Inhalte, außer auf Messen war bisher wenig zu sehen. Die Website www.fantastic.com kann für konventionelle Surfer nur passive Screenshots von den Benutzeroberflächen der nächsten Generation anbieten. Sie unterscheiden sich wenig vom gewohnten Bild, die Inhalte sind wie bisher mit der Maus navigierbar. Was aber dahinter steckt, ist nicht eben leicht zu verstehen, wie auch Gunther Guzielski zugibt, der bei der deutschen Tochtergesellschaft in Hamburg für technische Fragen zuständig ist. Ein wenig fantastisch klingt das Konzept der fantastischen Schweizer tatsächlich. Aber schon bald werde sich dieses oder ein ähnliches System durchsetzen, meint Guzielski. „Die Zeiten des Familienfernsehabends im Wohnzimmer sind vorbei“, sagt er, denn auch das Fernsehen werde „personalisiert“.

So, wie wir jetzt schon im Web surfen, werden wir unser eigenes Programm ansehen wollen, überall und wann es uns gefällt, und zwar das Programm selbst, nicht nur die Zutaten im Web. Eine bloße Erweiterung der so genannten Bandbreite, also der Leistungsfähigkeit der Leitungen, kann das Problem nicht lösen, das sich dann stellt. Es kommt darauf an, den Downstream zu begrenzen, der schon heute zu ständigen Staus an den Netzknoten führt. Das Grundprinzip, auf dem die Schweizer ihr System aufbauen, ist unter dem Namen „M-Bone“ schon zu Beginn der Neunzigerjahre entwickelt worden. Es besteht darin, die Knotenrechner zu überlisten, indem für räumlich benachbarte Adressen bestimmte Datenpakete identischen Inhalts neu verpackt und an einen einzigen Rechner im Adressraum verschickt werden. Erst dort werden sie für die Endkunden kopiert und einzeln übertragen.

Diese Methode spart zwar Leitungskapazität auf den langen Strecken zwischen relativ zentralen Knoten, bisher ist sie jedoch wegen zu großer technischer Probleme kaum angewandt worden. Internetfundamentalisten hatten zudem eingewandt, dass damit nicht mehr alle Kommunikationsteilnehmer gleichermaßen über das Netz verfügen können. Denn offensichtlich funktioniert ein M-Bone nur, wenn räumlich überschaubare Gruppen hinreichend ähnliche Anforderungen an einen Server stellen.

Gerade darin aber sehen die Schweizer ihre Chance. „Wir brauchen beides“, sagt der Techniker in Hamburg, „das normale Internet ist ein Recherchemedium, aber für die Dinge, die wir jeden Tag anschauen wollen, ist das gar nicht nötig.“ Im System von Fantastic reichen dafür eine fette Festplatte von mindestens zehn Gigabyte und ein Abonnement beim Anbieter der gewünschten Inhalte aus. Die tägliche, nicht mehr recherchebedürfige Konsumdosis an Text, Bild, Ton und Video kann damit auf dem PC gespeichert und mit einem ganz normalen Internetbrowser betrachtet werden, die Fantastic Corporation sorgt dafür, dass man sie keineswegs jedes Mal vom Ursprungsserver holen muss.

Ins Haus kommen müssen die Lieblingsdaten dennoch. Und mehr als eine bloße Telefonleitung oder auch ISDN sollte dafür schon installiert sein. ADSL reicht gerade noch aus, noch besser wären eine Satellitenschüssel oder ein Fernsehkabel. Denn Fantastic mischt seine Multimediapakete schlicht unter den Datenstrom von digitalen Fernsehsendern. In diesem, vom Internet unabhängigen Tunnel reisen sie mit hoher Geschwindigkeit, und kein ewig überlasteter Knotenrechner hält sie auf. Erst der PC des Empfängers, der mit einer speziellen Hardware-Erweiterung rund um die Uhr an diesen Datenfluss angeschlossen ist, oder eine fortgeschrittene Settop-Box auf dem Fernseher fischt sie am Ende wieder heraus und speichert sie auf die Festplatte ab.

Gebühren für den Inhalt statt für die Leitung

Die allerdings liefe schnell über, hätten Kunde und Anbieter nicht zuvor einen Vertrag geschlossen, der einerseits die Datenmenge von vornherein begrenzt, und anderseits das M-Bone-Prinzip erst praktisch anwendbar macht: Der Kunde abonniert nur ausgewählte Inhalte und erwartet nicht, dass sie ihm auf einen Mausklick hin augenblicklich vom Server geliefert werden. Damit wird es möglich, eine begrenzte Adressatengruppe in einem Zeitraum zu beliefern, den der Anbieter selbst bestimmt, etwa indem er freie Leitungskapazitäten auf Fernsehkanälen anmietet. Erst wenn der Kunde die Sendung bei sich gespeichert hat, verhalten sich die Daten so wie andere Internetdaten auch.

Fast so: Links, die in den Multimediadokumenten enthalten sein mögen, führen zurück ins gute alte Internet, Videos dagegen laufen ohne Verzögerung ab. Und ein Unterschied vor allem ist den Schweizer Pionieren wichtig: Die Abonnements für Fantastic-Sendungen werden wohl kaum je kostenlos zu haben sein, und Verschlüsselungen zum Schutz vor Raubkopien sind auch schon fest eingeplant. „Das ist ein Businessmodell“, sagt Guzielski. „Bisher bekommen Sie im Internet ja alles umsonst, das wird sich ändern.“

Niklaus Hablützel

niklaus@taz.de