:
People come, People go ■ Von Helmut Höge
And talk of Michelangelo. In der Frankfurter Karl-Marx-Buchhandlung, in der mal Cohn-Bendit Geschäftsführer war – und übrigens sämtliche Judaica unter „Naher Osten“ einsortiert wurden –, versuchten wir einmal die alte „Ordnung“ umzukrempeln: indem wir z.B. statt „Frauen“ oder „AKW“ Begriffe wie „Verpasste Begegnungen“, „Schöne Verlierer“ etc. verwendeten. Das System war poetisch, aber unpraktikabel.
Neulich nun fand im WMF eine Diskussion über Buchläden statt – organisiert von der Micro-Lounge. Mit Verweis auf Dussmann, Hugendubel etc. meinte der Verleger Erich Maaß dort, dass es die Kleinverlage bei der zunehmenden Konzentration im Buchgewerbe immer schwerer hätten.
Später behauptete Gerhard Beckmann in der Süddeutschen Zeitung: Auch die großen Sachbuchverlage hätten es – wegen der zunehmenden Verrohung der Buchhändler – immer schwerer. Als Beispiel erwähnte er „The Gay Science“ von Nietzsche, das in einer englischen Buchhandlung im „Schwulen“-Regal gelandet war. Big fucking deal! Dem Sachbuch setzen vor allem die Special-Interest-Zeitschriften und die Dumpfheit der deutschen Verleger selbst zu, die ihr gesamtes Lizenzbudget für amerikanische Titel verballern, wobei selbst hoch organisierte Branchenanalysen aus Harvard hier Hilfsschul-Absolventen unterfordern.
Abgesehen davon gibt es zwar die einst von Wagenbach favorisierten silberbestrumpften Buchhändlerinnen nicht mehr, sie tragen inzwischen Stützstrümpfe, aber dafür haben die immer neuen Textwellen seit dem Ende der Sechzigerjahre ihre eigenen Spezialbuchhandlungen hervorgebracht: für Comics, Computer, Anarchismus, Esoterik, Fotografie, Pornografie, Kunst, Skandinavia, Arabia, Sibiriensia usw. So stellt z.B. das auf Urbanistik orientierte Neo-Kollektiv „pro qm“ in der Alten Schönhauser seine Bestände nach Städten zusammen.
Und bei der altehrwürdigen, aber neu eröffneten Geografenhandlung Schropp in der Potsdamer Straße ist alles nach Ländern sortiert – das Kartenangebot darüber hinaus wie folgt: Erst mal kann man sich zwischen „gerollt“ und „gefalltet“ sowie zwischen der flächentreuen Peters-Projektion, der euroimperialistischen Mercator-Halluzination und der pazifikzentrierten Down-under-Weltsicht entscheiden. Dann gibt es Polkarten, Satellitenkarten (Tag und Nacht), Meeresbodenkarten, Orga-Karten (mit Verwaltungsgrenzen), Flugkarten (für schlecht kartografierte Gebiete), Sonnensystemkarten, Generalkarten (1:200.000), Messtischblätter (1:25.000), topographische Karten, Markierkarten (inkl. Stecknadeln, um darauf z.B. den Tschetschenien-Frontverlauf festzuhalten), lustige Kinderkarten, Bezirkskarten (mit und ohne Wappen), Droschken-Wegemesserkarten (von 1880), Berlin-Umgebung-Karten, Wasserwegekarten, Postleitzahlkarten – nur keine „Stadtpläne für Männer“. Dafür Globen in allen Größen und Preislagen, ein – zerbeulter – stammt sogar von einem Vorfahren der jetzigen Besitzerin: Kiepert selbst.
Ähnlich „einmalig“ ist auch das Angebot des „kleinen Buchladen“ in den PDS-Häusern von Marzahn und Mitte: Nur dort findet man die Biografien, Räsonnements und Recherchen der trotzkistischen, leninistischen und nostalgischen Kleinverlage derart komplett. Den umgekehrten Weg ging man im Commedia-Buchladen in der Potsdamer Straße: von der Spezialisierung auf Journalismus und Medien weg zu einem interessanten Sach- und Belletristik-Angebot. Und dann machen seit der Wende immer mehr Antiquariate auf (die teilweise die Literatur nach Kontinenten sortieren). Je nach Interesse der Betreiber bieten sie auch neue Bücher ihnen sympathischer Kleinverlage an.
Das Problem sind weniger die so genannten Kulturkaufhäuser als die plötzliche Aliterarisierung ganzer Viertel – zwischen Ku’damm und Kantstraße etwa, wo dann fast alle Buchläden (egal ob z.B. auf Touristen, Schwule oder Linke spezialisiert) eingehen – und sämtliche Markierkarten der Kleinverleger neu gesteckt werden müssen. Im Übrigen herrscht auch bei ihnen ein ständiges Kommen und Gehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen