: Von unpolitisch konnte niemals die Rede sein
Der DFB tut sich weiterhin schwer mit der Aufarbeitung seiner Nazivergangenheit
Vor 25 Jahren las der Tübinger Rhetorikprofessor Walter Jens dem DFB anlässlich dessen 75. Jubiläums kräftig die Leviten: Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit sei überfällig, mahnte Jens an – und erntete dafür harsche Kritik. Wenn dieser Tage einige hundert „Persönlichkeiten“ in Leipzig die 100. Wiederkehr der DFB-Gründung feiern, wird das Thema „Der DFB im Dritten Reich“ abermals nur hinter vorgehaltener Hand behandelt. Zwar kam es in der Jubiläumsfestschrift nicht ganz so schlimm, wie manche Kritiker befürchteten („Der DFB wird die Nazizeit in 16 blütenweißen Seiten abhandeln“), eine Auseinandersetzung mit seiner Rolle im Nationalsozialismus leistet der DFB aber auch in dem 620-Seiten-Wälzer nicht – von der Übernahme seiner Verantwortung ganz zu schweigen.
Für den DFB ist die Sache klar: Er ist ein Sportverband – und als solcher „unpolitisch“. Mit dieser Einstellung stiehlt er sich kontinuierlich aus der Verantwortung. Von unpolitisch konnte freilich nie die Rede sein. Im Gegenteil: Als tief bürgerlicher und national-konservativ ausgerichteter Großverband betrachtete die DFB-Führung Fußball schon früh als Instrument, um die innere Geschlossenheit des Volkes gegenüber „äußeren Feinden“ zu schmieden. 1913 sprach man begeistert von „waffenklirrender neuer Zeit“, und dass dem Fußball-Bund 1933 der personelle und inhaltliche Übergang von der Weimarer Demokratie zur Berliner Diktatur mit erstaunlicher Leichtigkeit und nahezu ohne Reibungsverlust gelang, belegt, wie nahe DFB und Nationalsozialisten einander standen.
Im Grunde genommen mussten 1933 nur ein paar Nebensächlichkeiten geändert werden: Statt Vereinsvorsitzenden gab es nun Vereinsführer, statt Bezirken Gaue und statt des Sportgrußes ein dreifach „Heil Hitler“. Die Grenzen zwischen Nationalkonservatismus à la DFB und Faschismus erwiesen sich als fließend, und ob sich die Funktionäre im Einzelfall nun inhaltlich mit der nationalsozialistischen Ideologie verbunden fühlten (wie beispielsweise der später in den Widerstand gehende westdeutsche Funktionär Dr. Klein) oder aber aus machtorientiertem Opportunismus handelten (wie nicht zuletzt der so gefeierte Sepp Herberger), ist einerlei, denn eins war gewiss: Kaum jemand beim DFB hatte irgendwelche Einwände oder gar Bedenken gegen Hitler.
Zum eigentlichen Skandal kam es aber erst nach 1945, als der DFB so tat, als sei nichts geschehen. Wenig verwunderlich freilich – denn die Männer, die in der Nazizeit das Sagen hatten, hatten es auch danach wieder. Gefeiert wurde diese erschreckende personelle Kontinuität mit der dreisten Aussage, zwischen 1933 und 1949 (dem Jahr der Wiedergründung des DFB) habe sich „lediglich der Briefkopf geändert“. Das zeugt von einem eklatanten Unrechtsbewusstsein, für das Namen wie Peco Bauwens, Hermann Gösmann und nicht zuletzt Hermann Neuberger stehen.
Die Nazivergangenheit blieb tabu. In seinen Veröffentlichungen beschränkte sich der DFB, wenn überhaupt, auf Floskeln, die wie „1933 kamen kleine braune Männchen und machten böse Dinge“ klangen. Auf dem Höhepunkt seiner gesellschaftlichen Akzeptanz, den der DFB an seinem 100. Geburtstag nunmehr erreicht hat, ist das kaum anders. Mit Karl Adolf Scherer wurde ein als „konservativ“ geltender Publizist gefunden, der die Nazijahre in der Jubiläumschronik auf 27 (von 620) Seiten „gefahrlos“ abhandelte. Was da, eingebettet zwischen den Kapiteln „Vom alten Jahrhundert ins neue Jahrtausend“ und „Nur ein Leutzscher ist ein Deutscher. Fußball in der DDR“, zu lesen ist, hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Seltsam distanziert wird geschildert, was dem DFB unter den Nazis „widerfuhr“. Von eigener Verantwortung oder gar Schuld keine Spur. Sorgfältig wird Betroffenheit eingestreut, werden mit erstaunlicher Zielgenauigkeit sogar ein paar sensible Bereiche berührt. Stets jedoch ist die Fußballwelt in Gut und Böse unterteilt – und auf welcher Seite der DFB steht, dürfte klar sein. Da ist die Rede vom „bösen“ Tull Harder, der später KZ-Wächter wurde, vom „guten“ Pipin Lachner, der aus dem Arbeiterfußball kam, und sogar Julius Hirsch, ein jüdischer Nationalspieler, der im KZ starb und jahrelang in den Ehrenlisten des DFB „vergessen“ wurde, findet Erwähnung. Aufarbeitung sieht jedoch anders aus.
Würde Walter Jens vom DFB noch einmal eingeladen, könnte er problemlos sein Manuskript von 1975 verwenden. Aber Jens wird in Leipzig nicht sprechen. Stattdessen sollte Helmut Kohl kommen – bis der von sich aus absagte. Eine Ausladung des Ex-Kanzlers war von Präsident Egidius Braun nicht erwogen worden. „Das wäre unlogisch. In Leipzig findet keine CDU-Veranstaltung statt“, hieß es. Der DFB scheint nichts gelernt zu haben. Hardy GrüneDer Verfasser ist Mitautor des Buches „Fußball für Millionen. Die Geschichte der deutschen Nationalmannschaft“ (Verlag Die Werkstatt 1999)
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