: 149 weitere Verweigerer am Pranger
Das American Jewish Committee veröffentlichte gestern neue Namen von Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigten und bislang nicht dem Entschädigungsfonds beitraten
Berlin (taz) – Das American Jewish Committee (AJC) hat gestern in Berlin weitere Namen von Firmen veröffentlicht, die während der Nazizeit Zwangs- und Sklavenarbeiter beschäftigten. 149 neu recherchierte Betriebe werden dort genannt. Sie verteilen sich auf zwei Listen: eine bundesweite und eine für Berlin. Die bundesweite Liste stellt eine Fortsetzung der im Dezember vom AJC herausgegebenen Liste dar. Die Betriebe der Hauptstadt wurden von der Berliner Geschichtswerkstatt recherchiert. Mit den neu veröffentlichten Namen erhöht sich die Zahl der vom Komitee ermittelten Unternehmen auf über 400.
„Die neue Liste ist ein weiterer Beweis dafür, dass während des Zweiten Weltkriegs Sklaven- und Zwangsarbeit in Deutschland allgemein üblich war“, betonte Deidre Berger, Direktorin des Berliner AJC-Büros. Sie forderte alle deutschen Unternehmen, die vor der NS-Zeit gegründet wurden, auf, ihre Firmengeschichte zu überprüfen und gegebenenfalls dem Entschädigungsfonds beizutreten. „Alle Quellen, auf die sich unsere Listen stützen, sind für jedermann frei zugänglich“, erklärte Berger. Zugleich mahnte sie in Bezug auf den neuen Entwurf des Entschädigungsgesetzes: „Die Bundesregierung sowie Vertreter der deutschen Wirtschaft versuchen so viele Überlebende wie möglich von den Zahlungen auszuschließen.“
Die Veröffentlichung bundesweiter Firmen, die auch Unternehmen einschließt, die mittlerweile in den USA ihren Sitz haben, führt die Recherchen der Liste von Dezember fort. „Dort sind die übrig geblieben Betriebe überprüft worden, die Namen oder Standort geändert haben“, erläuterte Ronnie Golz, Mitarbeiter des AJC. So finden sich etwa in der Liste die ehemaligen „Lubeca Werke“ aus Lübeck, die 240 Zwangsarbeiter beschäftigten. Als aktueller Firmenname wird „Assi Domän Wellpappe GmbH“ angegeben. Golz hat die neue Liste mit 70 Namen an Hand von Stadtarchiven und Einträgen ins Handelsregister recherchiert. Besondes auskunftsfreudig seien die Industrie- und Handelskammern gewesen. „Ich habe denen natürlich nicht gesagt, dass ich eine Liste über Firmen mit Zwangsarbeitern erstelle“, erklärte er. Seine Grundinformationen bezog Golz aus Martin Weinmanns Buch „Das nationalsozialistische Lagersystem“.
Das AJC sichert sich mit seiner neuen Veröffentlichung juristisch ab. In der Einleitung heißt es: „Es wird nicht behauptet, dass es irgendeine rechtliche Verbindung zwischen der historischen und der aktuellen Liste gibt.“ In den meisten Fällen handle es sich um Übernahmen und Verschmelzungen mit anderen Firmen sowie eine Änderung der Rechtsform, erläuterte Golz. Die Recherchen hätten jedoch ergeben, dass es zwischen den damaligen und den heutigen Firmen „historische oder finanzielle Verbindungen gibt“, betonte Deidre Berger. Man könne ein Unternehemen auflösen, aber nicht die Geschichte dieser Firma auslöschen. Die Liste sei ein moralischer Appell an diese Firmen, dem Entschädigungsfonds beizutreten.
Die Veröffentlichung vom Dezember kann bereits Erfolge verbuchen. Mehr als 50 Unternehmen, die dort aufgeführt waren, sind mittlerweile dem Fonds beigetreten. Insgesamt gibt es inzwischen 110 Unternehmen im Fonds. Das sei nur ein Anfang, erklärte Berger: „Historiker schätzen, dass tausende von Unternehmen in Deutschland vom System der Zwangsarbeit profitierten.“ Auch die neu veröffentlichte Liste, in der viele mittelständische Firmen verzeichnet sind, hatte bereits Wirkungen. Drei Firmen konnten gestrichen werden, weil sie jetzt dem Fonds beigetreten sind: die „Kamax Werke“ aus dem Harz, die „Scheid & Bachmann GmbH“ aus Mönchengladbach und die „Zeppelin GmbH“ aus Friedrichshafen.
Die zweite gestern veröffentlichte Liste konzentriert sich auf Unternehmen in Berlin, wo es mehr als 1.000 Arbeitslager für Sklavenarbeiter gab. 79 Firmenamen sind von der Berliner Geschichtswerkstatt ermittelt worden. In dieser Liste finden sich unter anderem die Firmen „Ufa-Filmproduktionen GmbH“ und „Ullstein Buchverlage GmbH & Co“. Die neuen Listen stehen auf der Website www.ajc.org
Isabelle Siemes
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