: Recht auf Ausdruck
Ein Filmprogramm in der Roten Flora zum 67. Jahrestag der Nazi-Machtergreifung ■ Von Christiane Müller-Lobeck
An den Debatten, die anlässlich Steven Spielbergs Film Schindlers Liste geführt wurden, ließ sich oft noch ein generelles Unbehagen an ästhetischen Überformungen der Judenvernichtung ablesen. Als Gewähr für das Misstrauen wurde wieder und wieder Adornos Diktum herangezogen, nach Auschwitz lasse sich kein Gedicht mehr schreiben – und das, obwohl er sich schon Ende der 50er Jahre revidierte mit der Feststellung, das Leiden der Opfer erhebe legitimen Anspruch auf Ausdruck.
Als letzten Winter Roberto Benignis Das Leben ist schön in die deutschen Kinos kam, wollte kaum noch jemand grundsätzlich erörtern, ob es statthaft sei, den Holocaust mit Mitteln der Kunst darzustellen. Vielleicht auch deshalb, weil in der Zwischenzeit eine ganze Reihe von – zumeist von Überlebenden geschriebenen – Romanen zum Thema erschienen sind. Die Kritiken zum Film beschäftigten sich vor allem mit der Frage des „Wie“. Und so geriet schnell das Genre des Slapstick ins Kreuzfeuer, dem der Film zuzurechnen ist. Die Frage war aber nicht, wie zu Zeiten von Chaplins Der große Diktator, „Wieviel Humor verträgt der Nationalsozialismus?“, sondern „Wieviel Humor verträgt die Erinnerung an Vernichtungslager?“
Das Komische wird in Das Leben ist schön durch den Kontrast erzeugt zwischen dem, was die Zuschauer wissen und dem, was der eigentliche Protagonist, ein fünfjähriges Kind, von seinem Vater vorgegaukelt bekommt: Der Aufenthalt im Lager sei ein Spiel, bei dem, wer genug Punkte sammelt, am Schluss einen Panzer gewinnt. Durch die komischen Verrenkungen, die Benigni machen muss, um die Illusion aufrecht zu erhalten, bleibt nicht nur dem Kind, sondern auch dem Publikum ein Teil des Grauens erspart. Und so wurde denn auch der Vorwurf beantwortet, Benigni verharmlose das Geschehen in den Vernichtungslagern. Doch die Dummheit, über die hier gelacht wird, ist im Grunde große Schlauheit. Denn die Geschichte, die dem Jungen erzählt wird, ist nur eine mögliche von vielen, durch die sich die Lagerinsassen tatsächlich in unterschiedlicher Weise das unglaubliche Geschehen zu erklären versuchten. Und diese Geschichten waren angesichts der Vernichtung alle mehr oder weniger illusionär. Manche der Geschichten halfen möglicherweise beim Überleben. Ob das gelang, entschied in letzter Instanz jedoch der Zufall. Und Benignis Film hebt auch gerade dessen Rolle deutlich hervor.
Auf ganz andere Weise, nämlich mit dem Dokumentarfilm Hotel Terminus, trat Marcel Ophüls 1988 den Beweis an, dass das schwere Thema der Judenermordung durchaus mit Humor angegangen werden kann. Der Film geht in unzähligen, teils mit versteckter Kamera aufgenommenen Interviews mit Altnazis, Überlebenden, Angehörigen des Vatikans, der CIA und anderer Geheimdienste der Person Klaus Barbie, dem Gestapochef von Lyon, bis zu seiner Festnahme und Verurteilung nach. Schon bei jedem „Aha“ des Regisseurs im Interview mit einem Nazi kann man sich ein Lachen kaum verkneifen. Doch zu den lus-tigsten des Films zählen sicherlich die Szenen, in denen Ophüls die Unbill seiner investigativen Tätigkeit selbst dokumentiert, und unübertroffen ist die Sequenz, in der er bei dem Versuch, eine Vorladung zum Gespräch zu bekommen, in den Blumenbeeten seiner Zielperson landet.
Die Rote Flora zeigt am Sonntag zum 67. Jahrestag der Machtergreifung der NSDAP beide Filme: Ab 12 Uhr kann dort gefrühstückt und zwischen den Filmen diskutiert werden. Am Samstagnachmittag startet die kleine Reihe mit dem Kinderfilm Die Kinder aus Nr. 67 oder Heil Hitler, ich hätt' gern 'n paar Pferdeäpfel von Usch Bertheimes-Weller und Werner Meyer aus dem Jahr 1980.
Die Kinder aus Nr. 67 oder Heil Hitler, ich hätt' gern 'n paar Pferdeäpfel: Sa, 29. Jan, ??Uhr; Hotel Terminus – Leben und Zeit des Klaus Barbie: So, 30. Jan, 15 Uhr; Das Leben ist schön von Roberto Begnini:So, 30. Jan, 20 Uhr, jeweils Rote Flora
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