: Mit der Lupe zu unseligen Zeiten
Wieder Berufsverbote in Hamburg? Innensenators Verfassungsschützer bespitzeln PDS. Koalitionskrach mit der GAL droht ■ Von Sven-Michael Veit
Kein Vorwand ist ihm zu gering, um in Hamburgs rot-grüner Koalition zu zündeln. Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) bestätigte gestern, dass die Kommunistische Plattform (KPF) in der Hamburger PDS seit dem 1. Januar durch das Landesamt für Verfassungsschutz observiert wird. Eine Begründung für die von ihm angeordnete Bespitzelung verweigerte er. Diese werde er allenfalls dem Geheimdienst-Kontrollausschuss der Bürgerschaft geben, teilte er in seiner Antwort auf eine entsprechende Anfrage des GAL-Abgeordneten Hans-Peter de Lorent mit.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass die GAL dafür auch nur einen Funken Verständnis aufbringt“, kommentierte de Lorent gegenüber der taz Wrocklages Vorgehen. Die Fraktion werde das Thema am Montag debattieren und „die notwendigen Schritte“ beschließen. Damit droht der Koalition in Hamburg eine erneute von Wrocklage provozierte Zerreißprobe. Erst im Juni vorigen Jahres war eine handfeste Krise wegen der nach grüner Ansicht „inhumanen“ Abschiebepolitik der Innenbehörde mit knapper Not beigelegt worden.
Die Beobachtung der KPF sei erforderlich, um „Informationen über Bestrebungen zu sammeln und auszuwerten, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet sind“, heißt es lapidar in der Innenbehörden-Antwort. „Berichtenswerte Erkenntnisse“ lägen allerdings noch nicht vor.
Daran dürfte sich so bald nichts ändern, denn die Hamburger KPF ist selbst mit der Lupe nur schwer auszumachen. Von den etwa 200 PDS-Mitgliedern in der Hansestadt seien „vielleicht fünf bei der Plattform“, weiß Kirsten Radüge, Sprecherin des Hamburger Landesverbandes. Und die „sind noch nicht einmal mit einem Flugblatt in Erscheinung getreten“. Die KPF, den von der Berlinerin Sahra Wagen-knecht geführten linken Parteiflügel, „und damit die Partei insgesamt“ zu observieren, erklärt PDS-Bundessprecher Hanno Harnisch, sei „ein Anachronismus von kalten Kriegern“.
„Überflüssigen Aktionismus“ attestiert der grüne Rechtspolitiker Manfred Mahr Innensenator und Verfassungsschutz. Letzterer brauche wohl „einen Vorwand für seine Existenzberechtigung“. Im Kontrollausschuss, dessen Mitglied Mahr ist, werde er „mit Spannung“ der von Wrocklage angekündigten Begründung für die Bespitzelung lauschen. Mahrs Fraktionskollegen de Lorent beunruhigt zudem der potentielle Zweck: „Wer observiert, sammelt Daten, wertet sie aus und verwendet sie“, kombiniert de Lorent. Er befürchtet einen drohenden „Einstieg in eine neue Berufsverbote-Praxis“ in Hamburg.
Diese Angst teilt SPD-Fraktionschef Holger Christier nicht, weil „das auch verkehrt wäre“. Eine Neuauflage des Radikalenerlasses der 70er Jahre komme nicht in Frage. „Diese unseligen Zeiten“, da ist sich der promovierte Historiker sicher, „will niemand wiederbeleben.“
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