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Ein dreifaches Hoch der französischen Eisenbahn

Was „Arbeitszeitverkürzung“ in der Realität bedeuten kann – je nach Branche

Paris (taz) – Wer die Vorzüge der Arbeitszeitverkürzung à la française preist, beruft sich auf das Abkommen bei der Eisenbahngesellschaft SNCF. Die 174.200 französischen Eisenbahner, die gewerkschaftlich stark organisiert sind und in vielen Streiks ihre Kampfbereitschaft bewiesen haben, bekommen seit dem vergangenen Jahr 15 Tage mehr Urlaub pro Jahr. Im Ausgleich schafft die SNCF 5.500 zusätzliche Arbeitsplätze – womit die Belegschaft, die seit 1992 kontinuierlich gesunken war, erstmals wieder wächst.

Positiv hebt sich bei der SNCF auch die Berechnung der Arbeitszeit ab. Zwar steht im Abkommen, wie viele Stunden die Eisenbahner im Jahr arbeiten müssen (1.561 bis 1.582), doch wird das für jeden Beschäftigten halbjährlich berechnet. Das Abkommen nennt sogar eine „Mindesttagesarbeitzeit“ von 5,5 Stunden. Diese Festlegung nach unten soll verhindern, dass Lokomotivführer, Kontrolleure und Verkäufer je nach Gusto der Direktion mal überhaupt nicht und dann 53 Stunden am Stück arbeiten dürfen – wie es künftig für die Lkw-Fahrer gilt.

Ein ähnliches Modell hat sich auch bei der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft EDF (116.500 Beschäftigte) durchgesetzt. Doch die Regel gilt nicht für alle einstigen oder immer noch staatlichen Großbetriebe. Bei der Post beispielsweise (rund 300.000 Beschäftigte) will die Direktion zwar mehrere tausend neue Arbeitsplätze schaffen, doch sollen die nicht auf sämtliche Büros im Land verteilt werden. Fazit: Tausende Postler sollen nach Stückzahl und nicht mehr nach Arbeitsstunden bezahlt werden. Gegen dieses Vorhaben standen gestern tausende von Postlern im Streik. Schneller, intensiver und mehr soll auch das französische Krankenhauspersonal arbeiten, um in den „Genuß“ der 35-Stunden-Woche zu kommen. Gestern fanden deswegen landesweit Demonstrationen statt.

Das Gesetz zur Arbeitszeitverkürzung sieht vor, dass die Direktion mit mindestens einer Gewerkschaft oder einem von ihr „mandatierten“ Betriebsmitglied verhandeln muss. Ein Negativbeispiel, das zeigt, wie das laufen kann, ist das Bekleidungsunternehmen Armand Thiery. Dort arbeiten 980 Beschäftigte in 130 über das ganze Land verteilten Geschäften und der Pariser Direktion. Das Unternehmen „verhandelte“ mit Vertretern zweier Minderheitsgewerkschaften (CFDT und CFTC), während es die großen Gewerkschaften im Betrieb (CGT, CGC und FO), die weiter gehende Forderungen stellten, ausschloss. Ergebnis: eine Jahresarbeitszeit von 1.600 Stunden, die sich je nach Auftragsaufkommen auf 28 bis 46 Wochenstunden verteilen können.

Noch bitterer sieht es für die mittleren und leitenden Angestellten im Unternehmen aus: Zwar bekommen sie zusätzliche Urlaubstage, doch ihre Arbeitszeit berechnet sich nunmehr nach Tagen, statt nach Stunden. Theoretisch kann ihre Präsenz rund um die Uhr verlangt werden. Im Ausgleich für diese „Arbeitszeitverkürzung“ wird der ohnehin niedrige Lohn der Beschäftigten (Vollzeitverkäuferinnen verdienen 2.000 Mark) um 5 Prozent gesenkt – zu Gunsten einer nur für drei Jahre festgelegten Prämie. Bei Neueinstellungen freilich muss diese Prämie nicht gezahlt werden, wodurch das Unternehmen langfristig seine Löhne senken kann. dora

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