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Nebensachen aus TokioHunger und Harmonie

Lakritz wäre kein Problem gewesen. Sonst bringe ich von Heimatreisen immer Lakritz mit. Diesmal sollte es aus deutschen Landen mal etwas Herzhafteres sein: Edelsalami, Geflügelwurst und Kasseler – plastikverschweißt, mit Gütesiegel. Wurst ist selten gut in Tokio, aber immer schweineteuer.

Der Anruf – mein Gepäck war mit Verspätung eingetroffen – kam vom Quarantäneamt: „In Ihrem Koffer waren ausländische Wurstwaren, Sir“, so der Beamte, „dafür brauchen Sie ein Unbedenklichkeitszertifikat Ihrer Regierung.“ Per Fax folgten 23 Seiten Importgesetz – eine schauerliche Aufzählung von Seuchengefahren, Kulturunterschieden und sonstigem Unheil, vor dem sich Japan schützen müsse. Dazu ein Muster wie ein Wurstimport korrekt vonstatten geht. Mein Hinweis, ich wolle doch nur im Familienkreis ein wenig heimatliche Wurst verzehren, blieb folgenlos. „Ohne Regierungszertifikat keine Einfuhr, Sir.“

Da die Deutsche Botschaft sich zu helfen außerstande sah („Wurst, die nicht Bundeszwecken dient, ist Ländersache“), gebührt mein Dank dem Kölner Amt für Lebensmittelüberwachung. Dessen Dreizeiler, wonach deutsche Wurstwaren im allgemeinen „zum menschlichen Verzehr freigegeben“ sind, hätte sie fast dem Ofen des Quarantäneamts entrissen. Doch da war noch ein pflichtbewussterer Japaner vor: Um die Wurst aushändigen zu dürfen, erklärte er, benötige man nun noch das Originaldokument.

Dessen Ankunft hätte auch bei wohlwollender Schätzung internationaler Postlaufzeiten, jenseits aller Haltbarkeitsdaten gelegen. Statt dessen deutete ein Formular in meinem Briefkasten das Ende an: Hiermit, hieß es, beantrage ich die Vernichtung meines Eigentums. Selbstverständlich lehnte ich dies ab. Wochen später kam die Antwort: „Sehr geehrter Herr, auf Ihren Wunsch hin ist die Wurst verbrannt worden.“ Was einmal mehr lehrt, dass man im offiziellen Japan die Harmonie über alles liebt. Sogar dann noch, wenn sie Abstriche an der Wirklichkeit erfordert. Nächstes Mal bringe ich wieder Lakritz mit. Klaus Scherer

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