: EU ohne Gentech-Food
■ 130 Staaten verabschiedeten in Montreal Biosafety-Protokoll. Jedes Land darf über den Import genmanipulierter Waren selbst entscheiden
Das so genannte Biosafety-Protokoll ist unter Dach und Fach. Jedes Land wird in Zukunft schon bei dem Verdacht, dass von einem genmanipulierten Produkt oder Organismus eine Gefahr für Umwelt oder Gesundheit ausgeht, nationale Importverbote aussprechen können. Das ist das Ergebnis eines über 100-stündigen Verhandlungsmarathons in Montreal.
Über das Protokoll zur biologischen Sicherheit wurde bis zur letzten Minute gestritten. Am Samstag morgen gegen fünf Uhr einigten sich die Vertreter der rund 130 Mitgliedsstaaten auf diese internationale Vereinbarung zum Schutz der Umwelt vor genmanipulierten Pflanzen, Tieren und Bakterien. Damit konnte der jahrelange Widerstand der USA gegen das Biosafety-Protokoll in entscheidenden Punkten gebrochen werden.
Sobald das Protokoll von den Mitgliedstaaten ratifiziert ist, gilt das Vorsorgeprinzip – ein Kernelement der 1992 in Rio de Janeiro verabschiedeten Agenda 21. Jedes Land darf demnach selbst über Importbeschränkungen entscheiden. Die in der „Miami-Gruppe“ zusammengeschlossenen Hauptexporteuren von Gentech-Lebensmitteln, USA, Kanada, Argentinien, Uruguay und Chile, wollten hingegen, dass der Handel von Gentech-Waren von der Welthandelsorganisation WTO geregelt werden. Importverbote hätte es nur geben dürfen, wenn ein – in der Regel nur schwer zu erbringender – eindeutiger, wissenschaftlicher Beweis für eine Gefahr vorliegt.
Das Biosafety-Protokoll steht nun gleichwertig neben den WTO-Regeln. Befürchtungen, die USA könnten mit einer Klage bei der WTO die weitaus restriktiveren europäischen Vorschriften für Gentech-Lebensmittel, zum Beispiel die Kennzeichnungspflicht, außer Kraft setzen, haben sich erübrigt.
Das Biosafety-Protokoll schreibt vor, dass künftig alle grenzüberschreitenden Gentech-Lieferungen mit dem Hinweis „Könnte gentechnisch veränderte Organismen enthalten“ deklariert sein müssen. Erst nach einer Übergangszeit von zwei Jahren soll eine neue Kennzeichnungsvorschrift greifen, die den Organismus und die vorgenommene Manipulation benennt.
Diese Regelung gilt nicht nur, wie von der Miami-Gruppe gewünscht, für Saatgut oder Zuchttiere, sondern auch für auch Gentech-Produkte, die zur Weiterverarbeitung in der Lebens- oder Futtermittelindustrie gedacht sind. Einzige Ausnahme: Pharmazeutische Produkte, wie zum Beispiel genmanipulierte Lebendimpfstoffe fallen nicht unter das Biosafety-Protokoll. Dafür ist allein die WTO zuständig. Der Göttinger Biologe Hartmut Meyer hält das für akzeptabel: „Dieser Preis war die Verabschiedung des Protokolls wert.“ Meyer nahm für das Forum Umwelt an den Montrealer Verhandlungen als Beobachter teil. Die Pharmahersteller müssten ihre Ware sowieso kennzeichnen, wenn sie ihre Waren nach Europa oder Japan exportierten. Meyer rechne damit, dass die Trennung von manipulierten und gentechnikfreien Produkten durch den Druck der Umweltorganisationen weiterentwickelt werde.
Auch Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne), die an den Verhandlungen teilnahm, begrüßte das Ergebnis. Im taz-Interview (siehe links) sagt sie: „Ich bin hochzufrieden, dass wir als EU das Vorsorgeprinzip durchgesetzt haben.“
Zufrieden ist auch die Umweltorganisation Greenpeace. Ihr internationaler Koordinator der Gentech-Kampagne, Benny Härlin, sagt, das Montrealer Protokoll sei ein „historischer Schritt für den Schutz der Umwelt und der Verbraucher vor den Gefahren der Gentechnologie“. Für ihn ist das Protokoll aber nur der erste Schritt. Härlin fordert jetzt die Mitgliedsstaaten auf, das Protokoll schnell zu ratifizieren, damit es „bis spätestens zum zehnten Jahrestag des Rio-Weltgipfels im Jahre 2002 in Kraft treten kann“.
Greenpeace setzt weiter auf die Konsumenten. Die Menschen mieden jetzt schon genmanipulierte Lebensmittel, als wenn es Pilze aus Tschernobyl wären, sagt Härlin. „Wir sind sicher, am Ende werden die Verbraucher den Kampf gewinnen.“ Langfristig wollen die Umweltschützer durchsetzen, dass „überhaupt keine gentechnisch veränderten Organismen mehr in die Umwelt freigesetzt werden dürfen“. Das wäre dann auch das Ende der Gentech-Industrie.
Wolfgang Löhr, Bernburg
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