: Man soll einen Teig nehmen
Karens KochKunst - die Serie der taz hamburg für GenießerInnen. Teil 31: Mittalterliche Kochbücher helfen nur bedingt ■ Von Karen Schulz
Nimmt man heute ein Kochbuch zur Hand, sucht man meist nach einem Rezept zum Nachkochen – beim Grundkochbuch zudem mit genauen Anweisungen für ein möglichst gelungenes Ergebnis. Das war mitnichten immer so: Mittelalterliche Kochbücher verwirren heutige LeserInnen durch vage oder fehlende Angaben zu Mengen, Garzeiten und genauer Zubereitung. Das hat seinen Grund: Wie die Forscherin Doris Aichholzer in ihrer kürzlich erschienenen Edition von drei österreichischen Kochbüchern des Mittelalters vermutet, waren diese vor allem als Gedächtnisstütze gedacht – Kochen lernte man durch Zuschauen und Helfen sowie durch mündliche Erläuterungen. Schließlich wurde – um es den eigenen Schülern vorzubehalten – auch in anderen Handwerken das Berufswissen kaum verschriftlicht.
Wer sich von solchen ins Neuhochdeutsche übertragenen Kochbüchern spannende Rezepte für die eigene Küche erhofft, muss daher mit einiger Experimentierfreude und einem fundierten Kochwissen ans Werk gehen. Will man beispielsweise einen „heidnischen Kuchen“ aus dem von Aichholz übersetzten Mondseer Kochbuch backen, wird man eingangs mit der lapidaren Erklärung „man soll einen Teig nehmen“ abgespeist.
Trotzdem sind diese Bücher für Kochfans eine wahre Fundgrube an Informationen – wer hätte beispielsweise gedacht, dass schon im Mittelalter unzählige importierte Delikatessen wie Pflanzenöl, Mandeln, orientalische Gewürze oder teurer Rohrzucker auf dem täglichen Speiseplan standen?
Viele Gerichte geben zugleich Auskunft über den mittelalterlichen Alltag. So mussten die Menschen während der Fastentage (rund 150 Tage im Jahr) auf Fleisch, Eier und Milchprodukte verzichten – entsprechend fantasievoll zeigten sie sich bei der Kreation von Ersatzspeisen: Fleisch wurde durch Fisch ersetzt, Milch und Käse durch Mandelmilch und daraus hergestelltem Käse, Butter durch Öle. Weil diese Zutaten das Essen während der Fastenzeiten jedoch deutlich verteuerten, wurden im ausgehenden Mittelalter von kirchlicher Seite die Nahrungsverbote vermehrt aufgehoben.
Spannende Lektüre bieten die Rezepte für prunkvolle Schaugerichte, die sowohl zur Unterhaltung großer Runden wie zur Demonstration des Reichtums der Gastgeber gedacht waren. Dazu gehören ein ganzes mit Teig überzogenes Spanferkel; ein gerösteter Schweinskopf, der mit Branntwein gefüllt und so entzündet wird, dass Flammen aus ihm lodern; Hühner mit verschiedenfarbigen Füllungen oder eine Überraschungspastete: Dafür wurden zwei Pasteten ineinander gesetzt, die innere mit gebratenen Vögeln gefüllt, in die äußere, etwas größere, kamen nach dem Backen lebende Vögel, die beim Anschneiden dekorativ herausflatterten.
Spätestens bei dieser Opulenz werden die Unterschiede zum heutigen Geschmack deutlich. Andererseits offenbart eine ganze Reihe von Rezepten eine ungeahnte Kontinuität der Küche in den vergangenen Jahrhunderten – wie die nebenstehend näher behandelten „Armen Ritter“.
Doris Aichholzer: „Wildu machen ayn guet essen...“; drei mittelhochdeutsche Kochbücher: Erstedition, Übersetzung, Kommentar. Lang, 1999, 106 Mark.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen