Chiles Ex-Diktator Pinochet muss leider freigelassen werden: Ein unangemessenes Urteil
Nun kommt doch noch das dicke Ende. Der britische Richter Maurice Kay hat sich mit seiner gestrigen Entscheidung nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Insbesondere der Ton, mit dem der Richter harsch alle Einwände der belgischen Regierung und der Menschenrechtsorganisationen als „unangemessen“ zurückwies, ist tatsächlich unangemessen und ärgerlich. Wenn Pinochet zu krank ist, um einem Prozess beizuwohnen, muss er freigelassen werden – so ist das nun mal. Vielleicht ist auch das medizinische Gutachten, das der nun wahrscheinlich baldigen Freilassung zu Grunde liegt, nicht zu beanstanden. Vielleicht aber auch nicht – und so bleibt an dem ganzen Prozess ein Makel haften.
Das ist umso bedauerlicher, als die britische Justiz, auch und wegen der vielen Wendungen, die der Fall in den letzten 16 Monaten genommen hat, exemplarisch vorführte, wie ein Rechtsstaat mit verbrecherischen Ex-Diktatoren umgehen kann – rechtsstaatlich eben, vor allem frei von politischen Opportunitäts- oder Bequemlichkeitserwägungen. Das gab Mut, das machte Eindruck. Es ist nicht die Tatsache, dass Pinochet nach Hause darf, die an diesem Eindruck kratzt. Es ist das Gefühl, dass hier schließlich doch noch gemauschelt wurde.
Allerdings: Gerade die Umstände, welche die Freilassung illegitim erscheinen lassen, könnten denjenigen in Chile noch einmal Auftrieb geben, die Pinochet dort vor Gericht stellen wollen. 58 Klagen sind inzwischen gegen den Ex-Diktator anhängig – und es scheint angesichts der gewandelten Stimmung in Chile nicht mehr unmöglich, dass der Senat Pinochets Immunität aufhebt und die Gerichte Möglichkeiten finden, die Amnestiegesetze zu umgehen. Wahrscheinlich ist das leider nicht. So richtig Ruhe wird der alte Putschist und Mörder jedoch in seinem Leben nicht mehr haben, und schon gar nicht wird er sich, mit der Diagnose „altersschwachsinnig“ freigelassen, wieder an die Schalthebel der im Hintergrund waltenden Macht zurückbegeben können.
Wenn die unterlegenen Anwälte Belgiens und der Menschenrechtsorganisationen jetzt noch einmal in die Berufung gehen sollten – wofür sie nach Lage der Dinge allen Grund hätten –, dann scheint es doch, als würde das nicht mehr viel ändern können. Na schön, jeder Tag ohne Pinochet ist für Chile ein guter Tag – und insofern lohnt auch Verzögerung. Trotzdem: Das Abenteuer des im Ausland verhafteten Pinochet geht dem Ende zu. Insgesamt gesehen war es ein Erfolg gegen die Diktatur. Bernd Pickert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen