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Der Fall Pinochet hat Rechtsgeschichte gemacht

Auch ohne Prozess: Diktatoren sind nicht mehr vor Strafverfolgung geschützt

Berlin (taz) – 472 Tage nach seiner Festnahme in London am 16. Oktober 1998 scheint Chiles Ex-Diktator Augusto Pinochet nun kurz vor der Freilassung zu stehen. Damit wäre der Fall abgeschlossen, bevor über die Vorwürfe gegen ihn überhaupt verhandelt worden wäre – dennoch aber sind vor britischen Gerichten in diesen Monaten gleich mehrere Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung gefallen.

Immerhin war Pinochet in vollem Vertrauen nach Großbritannien gereist. Es war tatsächlich noch nie vorgekommen, dass ein ehemaliger Diktator beim Besuch eines anderen Landes festgenommen wurde. Der Fall Pinochet wurde zum Präzedenzfall für den internationalen Umgang mit der Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen.

Eine Entscheidung des Londoner High Court, des Gerichts also, das auch gestern im Sinne Pinochets entschieden hat, rückte kaum zwei Wochen nach Pinochets Verhaftung die Ungeheuerlichkeit zunächst gerade: Pinochet genieße als ehemaliger Staatschef Immunität im Ausland, verfügten die Richter. Trotzdem durfte Pinochet noch nicht nach Hause. Im Berufungsverfahren vor den britischen Lordrichtern, der obersten Instanz des Landes, unterlag Pinochet einen Monat später: Am 25. November 1998 verkündeten die fünf Lordrichter mit einer 3:2-Mehrheit, Folter und Mord seien niemals als Amtsgeschäfte eines Regierungschefs zu begreifen. Eine Immunität käme daher nicht in Frage. Im Kern wurde diese Aussage auch bestätigt, als andere Lordrichter im März 1999 über die gleiche Frage ein zweites Mal zu entscheiden hatten – nachdem Lord Hoffmann, Zünglein an der Waage der ersten Richterkammer, sich als langjähriger amnesty-Mitarbeiter und insofern befangen herausgestellt hatte.

Bei all diesen Entscheidungen war es um die Frage, ob Pinochet nun tatsächlich nach Spanien ausgeliefert werden sollte, noch gar nicht gegangen. Das dafür zuständige Gericht hat seine Arbeit kaum richtig tun können. Vor zwei Wochen erklärte Innenminister Jack Straw, er sei nach einem medizinischen Gutachten geneigt, Pinochet als verhandlungsunfähig anzusehen – und freizulassen.

Bernd Pickert

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